Der Kambodschaner schläft

An dem Herbsttag hält Spark vor seinem Tor. Es hat keinen Antrieb, er muss es von Hand aufmachen. Als er aus dem Auto steigt, zuckt er zusammen, ein Dröhnen, unangenehm laut – neuerdings wird das Laub der Bäume mit großen Maschinen von der Straße gesaugt. Einige Arbeiter folgen dem Ungetüm, sie kehren die Reste zu Haufen zusammen, ein trister Job.

Einer der Männer hat den Anschluss verloren. Er fegt den Rinnstein an der Einfahrt, so akkurat, dass Spark aufmerksam wird.
„Saubere Arbeit!“, ruft er ihm zu.
Der Mann dreht sich um, zeigt ein fremdländisches Gesicht, nickt unsicher.
„Saubere Arbeit!“ Die Wiederholung ärgert Spark. Wie um sich zu entschuldigen spricht er den Mann noch einmal an: „Da, mein Garten.“ Er lacht verlegen. „Viel Laub, viel totes Holz. Sie… Sie könnten mir helfen, wenn Sie wollen. Natürlich gegen Bezahlung.“
Es ist kein Türke, kein Russe, eher ein Chinese.

Ein Kambodschaner – er hat Samstag angefangen und bis Sonntagabend den ganzen Garten in Ordnung gebracht. Der hagere Mann strahlt eine faszinierende Ruhe aus, Spark ist beeindruckt. Obwohl er am Wochenende nur das Nötigste im Haushalt gemacht hat, fühlt er sich wie gerädert. Es muss an der Scheidung liegen, er kommt einfach nicht darüber hinweg. Manchmal besucht ihn eine neue Freundin, sie bleibt meistens nur für eine Nacht, bis zum Frühstück.

Mit dem Kambodschaner kann er sich unterhalten. Spark gefällt es, auf die unbewegte Miene vor ihm einzureden, er könnte sich keinen besseren Gesprächspartner vorstellen. Immer wieder huscht ein Ausdruck von Zustimmung, sogar von Humor über die fremden Gesichtszüge. Der Mann wird ihm von Minute zu Minute vertrauter, vielleicht kann er wirklich alles verstehen.

Das Gartenhaus stammt noch aus den schlechten Zeiten. Spark kann den Schlüssel nicht im Schloss herumdrehen – da sieht er neben sich die Hand des Kambodschaners. Innen riecht es muffig. Sie müssen sich durch Netze von Spinnweben hindurcharbeiten, um die Fenster zu öffnen. Der Kambodschaner schaut sich andächtig um, er berührt die Spinnennetze, als ob sie sehr kostbar wären. Spark ist nicht mehr allein.

Seine Freundin steht vor der Tür, eine schöne Frau, so wie er sie sich in seinen Träumen vorgestellt hat. Sie schlafen zusammen, später sehen sie fern.
„Dahinten im Gartenhaus brennt Licht. Hast Du vergessen, es auszuschalten?“
„Nein“, sagt Spark. „Da wohnt ein Mann, vorübergehend. Er hilft mir im Garten.“
Er ahnt, dass sie sich damit nicht zufriedengeben wird.
„Das passt gar nicht zu dir. Was für ein Mensch ist das?“
„Ein Kambodschaner.“ In diesem Moment denkt er wieder an die Scheidung.
„Wen Du alles so kennst…“ Sie schüttelt den Kopf und schaut wieder auf den Fernseher.
„Er ist eben bei mir.“

Der Tag kommt, als Spark schreit. Es hat Ärger gegeben, er verlässt schon vormittags das Büro. In der Fußgängerzone entdeckt er seine geschiedene Frau mit seiner Tochter. Ein hübsches Mädchen, er sie hat sie so lange nicht gesehen. Seine Hand fährt hoch, sie bemerkt es nicht. Dann sieht er die Wodka-Flaschen im Schaufenster. Auf der Fahrt nach Hause nimmt er immer wieder einen kleinen Schluck. Über Nacht hat es geschneit. Spark schreit, er stiert durch das Fenster auf das schneebedeckte Dach des Gartenhauses. Der Wodka steigt ihm zu Kopf. Was macht der Kambodschaner noch hier? Seine Freundin ist auch misstrauisch. Er schiebt entschlossen die Terrassentür auf und steuert das Gartenhaus an.

„Warum sagst du nichts?“
Aber der Kambodschaner reagiert kaum. Je lauter Spark wird desto gelassener wirkt der Fremde. Er bleibt stumm, er scheint nur überrascht zu sein.
„Ich will dich nicht mehr sehen!“ Sparks Stimme schnappt über. Plötzlich ist diese Angst da, eine fürchterliche Angst, die ihn würgt. Er stürzt abrupt in die Nacht hinaus, fast wäre er lang hingeschlagen. Wie wild rennt er vor dem Kambodschaner weg, quer durch den Garten, den rettenden Eingang im Blick. Die Schnapsflasche fliegt in die Büsche. Drinnen schließt er sofort die Terrassentür ab.

Erst am Abend wacht Spark wieder auf. Er hält seinen Kopf unter den Wasserhahn, bis alle Gedanken ausgewaschen sind und er nur noch dumpfes Pochen spürt. Im Wohnzimmer sieht er die Vorhänge vor dem Terrassenfenster. Ungewöhnlich, er muss sie selbst zugezogen haben, dieser elende Wodka. Durch einen Spalt späht er hinaus – Dunkelheit… nein, nicht nur Dunkelheit, im Gartenhaus brennt Licht.

Spark reißt mit einem Ruck die Tür auf. Er wird diesen Zustand beenden, auch wenn er Gewalt anwenden muss. Als er seine Freundin entdeckt, erstarrt er vor Schreck. Sie sitzt allein im Gartenhaus, auf dem einzigen Stuhl, unter der nackten Glühbirne, die ihn blendet.
„Was machst du denn hier? Wo ist der Kambodschaner? Ist er weg?“
„Ich weiß nicht.“ Seine Freundin schaut ihn an. „Er ist irgendwo. Der Kambodschaner schläft. Lass’ ihn in Ruhe, dann lässt er auch dich in Ruhe.“ Sie kommt zu ihm, streichelt seine unrasierten Wangen, sie flüstert: „Denk’ einmal an nichts.“

Die Kälte hat ihn nüchtern gemacht. Er wartet vor der offenen Tür, wagt es nicht, sich umzudrehen. Dann tut er es doch. Das Gartenhaus ist leer, überall die Spinnweben. Seine Freundin verabschiedet sich nicht, sie geht einfach weg, eine Gestalt im Mondlicht. Spark wendet den Blick von ihr ab. Er friert.

Daudieck

– seit 1952 als Mensch geführt durchlatsche ich so meine Existenz, ich denke öfter nach, weiß aber nicht, warum, später möchte ich im Altersheim mit bunten Bällen werfen, meine Freundin ist die Tastatur, sie ist geizig, will immer die schönen Sätze für sich behalten – manchmal falle ich einfach über sie her. Ich hab jetzt übrigens einen eigenen Blog, wo ich bisher der einzige Besucher bin - macht trotzdem irgendwie Spaß: deeplooker.com

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