Kopflos

Hätte die Dame ihren Kopf nicht so weit aus dem Oberlichtfenster herausgestreckt und hätte ein Signal eines Signalmastes in diesem Moment nicht auf Grün gestanden, so dass es die rasante Fahrt des zwölfuhrdreinundzwanziger Regionalzugs nicht unterbrechen konnte, müssten sich die drei Damen im Café „Lilienthal“ keine neue vierte Frau für ihr donnerstägliches Doppelkopfspiel suchen.

Frau„Dass sie auch immer so neugierig sein musste“, schüttelte eine Dame der Kartenspielrunde bei der Überbringung der schlechten Nachricht durch einen Bekannten, der im Ort wohnte und denselben Zwölfuhreinundzwanziger genommen hatte, den Kopf. Die zweite Dame wusste zu berichten, dass die aus der  Doppelkopfrunde ausgeschiedene Kartenspielerin schon einmal beinahe durch ihre Neugierde zu Tode gekommen war: „Auf dem Rummelplatz wurde ein Kinderkarussell aufgestellt und sie hat, weil sie unbedingt sehen musste, wie es unter den Fahrrädern, der Lokomotive, dem Polizeiwagen und den anderen Fahrzeugen, die sich im Kreise auf der Platte drehen, aussieht, sich in große Gefahr gebracht. Eine Luke, von den Monteuren nicht verschlossen, bot sich ihr als Gelegenheit, den Kopf hineinzustecken. Da setzte sich das Karussell in Gang und einer von den Monteuren zog ihren Kopf in allerletzter Minute aus der Luke.“

„Zu schade“, seufzte die dritte Dame, die bisher noch nichts gesagt hatte, und mischte das Kartenspiel, „dass heute Mittag keiner von den Monteuren im Zug anwesend war.“

 

R.Gruwe

Renegald Gruwe, Jahrgang 56, lebt in Berlin als Musiker, Zeichner und Schriftsteller. Über das Verfassen von Liedtexten kam er zum Schreiben von Belletristik.

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