Mordfrust

Eine Frage der Konsequenz. Dieser Kollege dachte, er könnte ihn immer wieder ungestraft beleidigen. Röbke wechselte die Firma, ließ ein bisschen Zeit ins Land gehen. Dann schlug er den Kerl tot. Im Dunkeln wartete er hinter einer Ecke, holte mit dem Baseball-Schläger aus, hörte die Schädeldecke knacken wie eine Kokosnuss, sah kurz das Gehirn herausquellen. Er wandte sich ab und ging weg.

Mit diesem Schlag wurde Röbke ein anderer Mensch. In seinem Inneren öffnete sich eine Tür, die bisher verschlossen war. Ein neuer Raum, er konnte sich endlich bewegen. Etwas später traf er mit seiner Freundin diesen Penner, Zufall. Röbke trat mit dem Fuß nach ihm. Seitdem kommt seine Freundin nicht mehr, sie ruft auch nicht mehr an. Als er ihre aufgerissenen Augen sah, wusste er schon Bescheid. Doch ihr Blick faszinierte ihn – so schön hatte er sie noch nie gesehen. Sein nächster Tritt traf den miesen Penner in den Bauch. Sie hatte Röbke praktisch dazu aufgefordert. Und danach lief sie einfach weg. Schwund ist immer.

Die Bullen kriegen ihn nicht. Dass sie ihn nicht mal suchen, irritiert Röbke. Es stört ihn. Gestern schubste er einen total krassen Randale-Typen vor die S-Bahn, der einen Rentner abziehen wollte. Dieser Alte hatte ein graues Gesicht, der war krank, trotzdem schrie er herum. Röbke nahm den Grufti ins Visier, bis im letzten Moment sein Gerechtigkeitssinn siegte. S-Bahnen fahren schnell – man muss den richtigen Augenblick abpassen.

Es kam im Fernsehen, starker Bericht. Röbke erwartete, dass man ihn schnell schnappen würde, weil so viele Leute auf dem Bahnsteig waren: Fehlanzeige, kein Mensch will etwas von ihm. Wenn er noch mutiger gewesen wäre, hätte er beide hoppgenommen. Wenigstens ist er kein Feigling mehr. Er zieht Sachen durch, an die andere nicht mal denken würden. Er macht, was er will. Vorher hat Röbke gar nichts gemacht.

Es klingelt. Wahrscheinlich Polizei, wurde auch Zeit. Röbke macht die Tür auf. Nein, nur die Nachbarin – diese Tratschtante, die ständig irgendwas vergessen hat: Zucker, Streichhölzer, Filtertüten, ihren Arsch. Sie steht verhuscht in der Tür, sie wird immer kleiner. Was will sie dieses Mal? Was, Fett? Sie will Fett, Fett für die Auflaufform. Röbke hat kein Fett. Oder doch? Röbke hat keinen Baseball-Schläger zur Hand.

„Fett für die Auflaufform?“, fragt er. Er guckt sie freundlich an. „Da muss ich nachschauen. Kommen Sie ruhig herein!“
„Ich weiß nicht…“ Die Nachbarin tritt unsicher auf der Stelle.
„Bitte, kommen Sie!“ Röbke führt sie ins Wohnzimmer. „Setzen Sie sich. Ich sehe mal in der Küche nach.“
Er findet eine volle Flasche Speiseöl, schwer, aus Glas. Auf dem Weg zurück sieht er die Frau im Sessel sitzen. Er sieht ihren Hinterkopf mit dem schütteren Haar. Die Schädeldecke glänzt. Speiseöl – dann kann er den Teppich vergessen. Er geht an ihr vorbei und lässt sich in den Sessel gegenüber sacken.
„Ist das in Ordnung?“ Röbke streckt ihr die Flasche hin. Er lehnt sich zurück, weint leise, weint lauter, schluchzt haltlos. Die Nachbarin ist entsetzt aufsprungen. Sie fasst ihn sanft an den Schultern, beugt sich über ihn, glotzt ihn an.
„Du meine Güte! Was haben Sie denn? Soll ich uns einen Kaffee machen?“
Er nickt. „Und einen Cognac“, krächzt er, „da im Schrank. Bleiben sie noch?“
„Natürlich. Ich bleibe hier, bis es Ihnen wieder besser geht. Ist alles halb so schlimm.“
Röbke hebt mühsam den Kopf: „Meinen Sie wirklich?“

Daudieck

– seit 1952 als Mensch geführt durchlatsche ich so meine Existenz, ich denke öfter nach, weiß aber nicht, warum, später möchte ich im Altersheim mit bunten Bällen werfen, meine Freundin ist die Tastatur, sie ist geizig, will immer die schönen Sätze für sich behalten – manchmal falle ich einfach über sie her. Ich hab jetzt übrigens einen eigenen Blog, wo ich bisher der einzige Besucher bin - macht trotzdem irgendwie Spaß: deeplooker.com

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