Portwein

(Stimme: Alan Neon; Fotografie: Rafael Pielorz; Text: J. F.)

Wir reißen die Straßen auf mit unseren Hacken im Großstadtsuff,
wütend, mit geblähten Hemden fackeln wir die müllgefütterten Bäuche der Glashäuser ab,
und lassen uns nicht aufhalten von unsichtbaren Linien und Kreidestrichen, von Generaldirektoren und Agenturräten gezogen,
von schmalgesichtigen Polizisten die aus Silberschweifen hechten und ihre Schultersterne sprechen lassen,
von der kosmischen, unverzeihenden Investigationstruppe,
von den Lou Salomés in den einladend pulsierenden musikzerrütteten Stätten mit den einladend pulsierenden Körpern,
von den Blechmonstern, die uns am anderen Ende der Welt wieder ausspucken,
von den Heilanstalten, den vollgestopften, die uns wild gestikulierend aufnehmen würden, denn nicht mal dort gibt es noch große Menschen,
von den tollwütigen Hundebesitzern auf der Straße, den tollwütigen geprellten Laternennutten in ihrem Kiezer Zwirn,
von hysterischen vollgeschnupften Halbglatzen, Diamantenhändlern, von philosophielosen Ärschen, die unter Röcken herausschießen,
von Fixern in der leergesaugten Morgendämmerung,
wir sind uns selbst überdrüssig, der Linke ist dem Rechten überdrüssig, wir spucken auf unsere eigenen Gräber,
der Linke auf den Epitaph des Rechten, wir rotzen auch den Generaldirektoren und den Louise von Salomés und den Psychiatern und dem Linken aufs Grab,
in lustloser Masturbation gegen die Würde selbst gerichtet, den rechteckigen Tullamore Dew im Holster, die Revolvertöpfe in Fensterspalten prustend koksen wir für die Ehrlichkeit,
eingerahmt für die nächsten Stunden, mit teuren Lederstiefeletten und wildwüchsigen Haaren, ungewaschen und unparfümiert die Straße tretend,
die Welt wird nach hinten geschoben, nicht wir vorwärts – im Staccatogalopp vorbei am Morgengrauen,
an Persiluhren und Abendkinos, an alten, verschmutzten und verfetteten Göttern,
Existenzialisten in Mindestpreis-Polyesterhosen,
berühmt an den Tastaturen, von der Kritik gefeiert,
mit Starkstromkabeln im Zirkus Maximus,
irgendwann Essen an Zechenhäuser in dunkelroten Vans ausliefernd oder
in Apartments mit Glasfronten und rauchenden Mädchen auf dem Balkon
oder in der Strafvollzugsanstalt wegen Selbstjustiz und Exhibitionismus,
mit einer biologischen Uhr mit siebzehn Zeigern und keiner einzigen Zahl,
unbenutzte italienische Stillets in der Brusttasche und keine zwei Zentiliter Blut zu vergeuden,
mit Kiloweise Hass auf großmäulige Scharen in Theatersälen und unter Wärmepilzen in Wintergärten,
auf kalte deutsche Wälder, auf Lichterketten in den multiplen dreckigen Seitenarmen von Imbiss-Hauptstraßen,
auf Richard Wagner, auf alle Zigarettenmarken außer Marlboro, mit Hirnen wie Boas im Kampf,
sich um sich selbst windend, luftlos, glatt und tödlich,
Sie sperren sich in Toilettenkabinen weg, mit Antibiotika im Rachen und Melonenkernen in den Taschen,
Herbie Hancock die ganze Nacht in den Ohren, und trinken Filterkaffee am nächsten Morgen:
Guten Morgen ihr norwegischen Bärenjäger, ihr Frühaufsteher, Shaolinmönche mit Eiern wie Zwei-Euro-Stücke, ihr Taschentotschläger,
guten Morgen Brandlöcher in Anzughosen, guten Morgen Kiew, guten Morgen ihr Fensterläden und Chesterfieldsessel,
guten Morgen ihr runden Arschlöcher rotgerieben vom abendlichen Schiß, guten Morgen Vietnam,
guten Morgen ihr dänischen Biere die nach Brausepulver schmecken, guten Morgen Kolibris die für einen Fick 500 Herzschläge brauchen,
guten Morgen Galgen, du wirst vom Berg geschnitten!
Und sie reißen den Tag runter und fürchten sich vor nichts und trinken Portwein am nächsten Abend.

Fotografie: Rafael Pielorz

 



Bücher von Johannes Fightestörk:


Sinthom

Fightestörk

Toxikophiler. Bedroht Leute mit Waffenzeitschriften und stochert seine Beine in die Welt, bis ihm die Sohlen platzen. Lebt am rotäugigen Abgrund und fährt meistens zu schnell. Träumt tagsüber von Sintfluten, nachts trinkt er. WWW: sneakblog.de und facebook.com/Fightestoerk

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