Tatort Paris: Drei Grazien

Der Tatort am Montmartre war nichts für schwache Frauen. Kommissarin Eve Vallée hatte sich bereits auf dem Kopfsteinpflaster bei den überquellenden Mülltonnen des Hinterhofhauses einen Absatz abgebrochen. Eine räudige Katze strich um ihre Waden, schaute zu ihr hoch, setzte sich hin und übergab sich. Im Haus trat die Kommissarin trotz ihres Handicaps die Tür einer Wohnung ein. Drei männliche Mitarbeiter sprangen sofort in die Bresche.

„Klasse, wie Sie das gemacht haben, so ganz ohne Absatz!“, rief der älteste der Grace-Drillinge, ein Spezialist für Biogasanlagen-Forschung. Erstaunlich, dass die Brüder komplett beim Einsatz mitmachten, normalerweise lehrten sie nebenberuflich an der Sorbonne, um sich den Lohn aufzubessern.

Eve Vallée reagierte mürrisch: „Grace-Deux, ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber ihr odeur heute…“ Sie zog hörbar die Nase hoch und kratzte sich im Schritt. Dabei verschluckte sie sich fast. Grace Numéro Un reichte ihr ein parfümiertes Batisttaschentuch.

„Ich hatte leider nur Chanel da, heute musste es schanell gehen“, entschuldigte sich der Fachmann für flüchtige aromatische Verbindungen mit Hang zu dämlichen Reimen.

Bruder Zwei protestierte: „Das bin nicht ich, ich rieche doch nicht wie schon mal gestorben!“

Montmartre (Foto: (C) David Monniaux)

Montmartre (Foto: D. Monniaux)

Während die beiden noch darüber stritten, wer sich gründlicher gewaschen hatte, stellte sich der dritte Bruder still in die Mitte, legte ihnen die Hand auf die Schulter, schloss den Mund und schwieg weiter. Der Dozent für angewandte Philosophie im Nebenberuf nickte rückwärts in Richtung ehemaliger Tür und schwieg noch ein wenig.

„Mach’s nicht so spannend, Trois!“, bellte Eve Vallée durchs Chaneltuch, während sie sich immer noch den seidenbestrumpften Fußballen rieb.

Der Philosoph ließ sich nicht zweimal bitten. „Es riecht nach der Aufschrift auf der Tür.“

„Da war ein Kreis drauf“, erinnerte sich die Chefin, „deshalb habe ich auch so gut zielen können. Aber Schrift?“

Auf ihr Kommando zog sich die Brigade in den graffitiverschmierten Hausflur zurück, wo die Tür neben der Wohnung lehnte. Der Chemiker Grace-Un schmierte mit dem Zeigefinger über fein hingekritzelte Buchstaben im Innern des Kreises.

Dabei jammerte er: „Schade, jetzt ist es verschmiert und verkliert. Aber das bestätigt meine Vermutung. Königsblaue Tinte, wie man sie in den Sechzigern in Deutschland herstellte. Mal ganz seriös, das ist mysteriös! Was will uns der Täter damit sagen?“

„Du Rindvieh, wie sollen wir das wissen, wenn du den Satz auswischst!“ Der Biogasbruder sah aus, als würde sein hochroter Kopf gleich explodieren. „Woher weißt du, dass es ein Satz war!?“

„Na, da war ein Punkt hintendran.“

Die Vallée hatte endlich wieder ihren Fuß im Griff und grinste zufrieden. „Das sind mehr als genug Indizien! Eine Tür, ein Kreidekreis, kein Graffiti, sondern ein echter Satz mit einem Punkt. Ungewöhnlich für so eine Bude. Andererseits, der Täter unlängst, dieser Typ ohne Schulabschluss aus dem Banlieue, der hatte in seinem Erpresserbrief auch einen kompletten Satz …“

Grace-Deux machte weiter: „Das ist wieder so ein Ritualschwein. Punkt und Kreis, irre symbolgeladen. Aber was stand denn genau auf der Tür, Brüderchen?“

Genervt zog Grace-Un die Augenbrauen hoch und gab sich echauffiert: „Selber lesen, nicht verwesen!“

Die Vallée brüllte ihn an. „Du weißt aber schon, dass du Beweismittel zerstört hast! Lies uns die Chose aus dem Gedächtnis vor! Wie riecht’s denn nun?“

Grace-Un nahm eine Napoleon-Positur ein und rezitierte. „Du bist die Pest!“

„Untersteh dich, Grace-Un!“

„Nein, das stand da. Riecht doch, riecht doch in dieses verdammte Loch!“

Die vier schnüffelten, sahen einander an, schnüffelten noch einmal und schwiegen. Die Chefin ergriff zuerst das Wort und die Tür: „Der Fall ist klar wie consommé. Der Spruch mit der Pest, der Geruch – da liegt eindeutig ein Toter in der Wohnung. Ein sehr toter Toter. Einer, der schon wie die Pest stinkt. Der Fall ist gelöst.“

„Aber der Täter …“, stammelte der Philosoph, dem wieder einmal alles zu schnell ging.

Seine beiden Brüder fielen sich gegenseitig ins Wort. „Der Knüller: ein Ritualschwein mit Füller!“ – „Ein Typ mit perfekten Kreisen aus Kreide, ein Lehrer!“ – „Tinte, königsblau, keine Frau. Tinte aus den Sechzigern, der krakelt gern.“

„Und das Motiv?“, fragte Eve Vallée.

„Du bist die Pest“, murmelte der Philosoph.

Da schlug sich die Vallée mit dem absatzlosen Schuh an die Stirn und platzte heraus: „Natürlich, klar, der Tote war sein Schüler, hatte ihn genervt wie die Pest!“ Sie pfiff scharf durch die Finger nach der Spurensicherung.

„Jungs, ihr könnt jetzt rein, der Fall ist gelöst. Schaut mal nach, was da so müffelt, wir sind im Bistro nebenan. Paris hat ein Mysterium weniger.“

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Dan Rocco (Dirt Diggin Dog): Rouge & Revolver
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Dirt Diggin Dog

DDD wollte eigentlich als Frau auf die Welt kommen, hasst aber Frauenkrimis zu sehr. Brüllte bei Abnabelung Heavy Metal und trägt immer noch keine Krawatten. Mit fünf Jahren leere Sprechblasen aus Comics als Hörbuch eingelesen. Erstes Poem mit zwölf Jahren: „Mein Ascher stinkt wie blaue Weizenkleie’“. Jobs als Fernfahrerbeifahrer, Leichenwäscherhelfer, Literaturpreismanuskriptesortierer, Siebdruckfarbanrührer und Tanzboy. Studium bei Raymond Chandler und Dagobert Duck. Erster Roman: über die Sprechpausen Phil Marlowes. Gewann fünf Pfund Butter beim renommierten Regiokrimi-Preis „Butter bei die toten Fische“. Lieblingsschriftsteller: Jack Torrance. DDD lebt und arbeitet nach dem Prinzip von Tschechows Rasierklinge in Cleveland, Neustadt an der Weinstraße und Clichy. Aktuelles Buch: "Rouge & Revolver - 10 Schnellkrimis" (under dem Pseudonym Dan Rocco).

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