Der Mann, der die Suppe ausbröckelt [sic].

Der Himmel vor seinem Auge verdunkelt sich, mischt an seinem Rand ein bizarres Spiel aus orange und rot. Die wenigen Häuser stehen wie dunkle Schatten in dem Bild, das ein Maler nicht besser hätte zeichnen können, denkt er sich.

Der Ausblick erinnert ihn an eine Welt in einer Lavalampe, die kalten schwarzen Gebäude sind die Luftblasen, der blutrote Himmel das heiße Gestein.

Der Mann sitzt in der Straßenbahn und starrt nach draußen. An der Leine der große Hund, den er hat, seit der klein ist. Er hört auf den Namen Otto. Heute Morgen beim Aufwachen war noch alles weiß, der Reif hat sich auf die Landschaft gesetzt, jetzt ist er verschwunden. Otto hat wie immer sein Herrschen geweckt und ihm die Zeitung und heißen Kaffee ans Bett gebracht. Bei dem Gedanken muss der Mann lächeln.
Er trägt eine Stofftüte mit einer unbekannten Stickerei. Wenn er sein ganzes Hab und Gut, also das von Wert, denkt er, nur das von Wert, von persönlichem Wert, natürlich, zusammensuchen würde, es passte in zwei Stoffbeutel, denkt er. Der Rest ist doch nur unnötiger Ballast, da hängt sein Herz nicht dran.

Wieder wandert sein Auge nach draußen. Noch muss er nicht aussteigen, ein geübter Blick verrät ihm das. Die Türen schließen sich und er schaut ob Otto noch neben ihm liegt. Mit geschlossenen Augen saugt er die Umgebung auf. Das was er zu fassen kriegt, sind Gesprächsfetzen. Eine Stimme möchte die Unisachen verbrennen, eine andere rät ihr dazu, zu warten, bis sie mit der Uni fertig ist, dann könnte sie gleich ein Feuer im Hinterhof veranstalten und die Sachen hinein werfen. Er stellt sich eine junge Frau vor, die nackt um ein Feuer springt und dabei Blätter zerreißt, die sie Stück für Stück in das Feuer wirft. Dann wendet er seine Gedanken nach innen. Er hat selbst einmal studiert. Siebeneinhalb Jahre lang. Dann ist er entlassen wurden, ohne Abschluss. Er hat nie geraucht und keinen Alkohol getrunken. Ab und zu mal einen Kaffee und zum Frühstück ein dunkles Brötchen. Ein Freund hat ihm eine Stelle in einem Büro besorgt, da hat er dann drei Jahre lang gesessen, immer von acht bis vier. Eines Morgens ist er aufgewacht, und konnte drei Sprachen fließend. Einfach so. Englisch, französisch und portugiesisch. Das war mal was, sagte er sich, und hat seinen Freund angerufen, um ihm zu sagen, dass er nicht mehr kommt. Jetzt vergewissert er sich, dass Otto noch neben ihm liegt. Ein Magen knurrt, welcher das ist, weiß er nicht, der vom Hund oder sein eigener. Otto ist sein bester Freund.
Ich bin der, der immer die Suppe aufbröckelt, schiebt er einen Gedanken vor sich her, doch der will nicht so recht passen.

Einbrockt
Aufbröckelt
Otto schaut ihn an und kann ihm nicht helfen.

Dann wiederholt der Mann den Satz in den anderen drei Sprachen. Englisch, französisch und portugiesisch, die er beherrscht. Er kam nie dazu, sein Können unter Beweis zu stellen, aber Otto nickt ihm jetzt zustimmend zu.

Sie möchten bitte?, fragt der kleine Mann hinter dem Verkaufsfenster.
Ich habe noch nicht entschieden.
Ahso.

Heute hat das kalte Licht ganz scharfe Konturen geschnitten; jetzt sieht man nicht einmal mehr die Umrisse der Häuser. Die Knie des Mannes sind ganz wund, weil die Federn des Bettes hervorstechen. Eine neue Matratze kann er sich nicht leisten. Noch nicht. Der Rücken ist ganz krumm, vom vielen Lesen.
Dann kommt eine dicke Frau mit Pudel auf dem Arm und stellt sich neben ihn. Der Pudel zwinkert dem Mann zu, er lächelt zurück, leicht verlegen, der Pudel erinnert ihn an wen. An wen nur, überlegt er und kommt nicht drauf. Die Dame kennt er nicht.
Darf ich bitten, sagt er zu dem Hund und lässt ihn dem Vortritt. Der frisierte Pudel wedelt mit dem Schwanz. Die Frau bestellt. Ente knusprig.
Otto läuft das Wasser im Mund zusammen.
Ja bekommst gleich dein Süppchen, sagt der Mann und überlegt er wieder, wie hieß das gleich nochmal?
Aufbröselt?

Als die Frau und der Pudel in der Nacht verschwinden, schüttelt der Mann den Kopf, nein, das kann nicht sein, in dieser Gegend, eine solche Dame von Welt.
Sie möchten.
Ich nehme die Suppe.
Er zählt sein Kleingeld.
Eins, fuffzich.
Hier bitte.

Er trägt nun, außer dem Stoffbeutel noch eine Plastiktüte mit Suppe nach Hause. Ja, ja, ich bin der, der die Suppe auslöffelt, denkt er, und für Otto wird etwas abfallen.

Sanjak Rouens

studierte irgendwas in England und danach was an der Universität Leipzig. Außerdem arbeitete sie für ein Institut für evolutionäre Anthropologie.

Das könnte dich auch interessieren …