Quim Monzó, Barcelona und die London-Bar.

QuimMonzoBarcelonaLondonBar_1Mein Auftrag lautete einen gewissen Quim Monzó zu finden und ihm ein paar stupide Fragen über die Langeweile der Literatur zu stellen. Nun, der katalanische Schriftsteller Monzó ist in Barcelona so bekannt wie Jürgen Drews am Ballermann, allerdings viel schwieriger aufzutreiben. Von der FAZ und Monzós deutschem Verlag bekam ich eine französische Adresse, bei der Redaktion La Vanguardia wimmelte man mich höflich und bestimmt ab. Señor Monzó sei nicht hier, nein, man wisse nicht wann und ob er überhaupt mal erscheine: „Rufen Sie ihn doch einfach zu Hause an.”

Aber er hatte den Anrufbeantworter eingeschaltet. Ich merkte es erst, als ich noch mitten in der Formulierung der ersten Frage einen Piepton vernahm.

Monzó gilt als “eine der provokantesten Stimmen Europas”, er war als Kriegsberichterstatter in Thailand, Kambodscha, Kenia und Nordirland unterwegs. Neben der Literatur malt er, widmet sich dem Radio und dem Fernsehen, übersetzt und schreibt Songs. Man könnte sagen, Monzó ist ein Multitalent und ich behaupte, wenn er in Barcelona wohnt, kennt ihn jedes Kind.

 

QuimMonzoBarcelonaLondonBar_3Die alten Peso-Taxifahrer sind gewieft und wirken entspannt. Seit Einführung des Euros, seit Billigflieger Billigtouristen in die katalanische Hauptstadt bringen, und weil das Zubrot nicht mehr mit einem utopischen Währungskurs zu machen ist, fahren sie das Ziel kreisförmig an, d.h. sie umkreisen es zuerst weitläufig. La Rambla ist die am häufigsten genannte Destination, ca. 25 Euro vom Flughafen El Prat entfernt. Ein spanisches Pfannkuchengesicht beobachtet mich, lächelt mir zu. Das Gesicht gehört Pedro, einem Taxifahrer meines Alters. Ich nenne ihm Straße und Hotel und betone, dass es zwischen Raurich Street Corner und Ferran Street liegt. Sein Deutsch ist wie mein Spanisch, höchst reduziert, ich wiederhole auf Englisch und er nickt: „Si, Señor.”

Nachdem er mir die höchsten Punkte Barcelonas gezeigt hat und bereits 26 Euro auf dem Taxameter stehen, sage ich ihm abermals Name und Adresse des Hotels.

„Si, Señor.”

Wir fahren von Westen kommend die Rambla de Canaletes bis runter zur Rambla de Santa Monica. Am Kreisverkehr kurz vor dem Mittelmeer dreht er um und tut erstaunt: „Oh, Hotel California. Si, Señor.”

Pedro hat sich um 20,60 Euro verkreiselt.

 

18 Uhr 30. Der Rezeptionist Guillermo überprüft meine Zimmerbestellung. Nein, es sei keine Nachricht abgegeben worden. Auch nicht von Quim Monzó. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem spöttischen Aussehen. Pedro hält noch immer meinen kleinen Handkoffer wie ein Pfand umschlossen, er wird ihn mir wohl erst aushändigen, wenn ich ein angemessenes Trinkgeld locker mache. Nachdem Guillermo meine VISA-Karte und Pedro meine Kleingeldkasse beansprucht haben, bekomme ich den Zimmerschlüssel. Pedro sagt etwas mir unverständliches, der junge Hotelangestellte übersetzt: „Wollen Sie Drogen, Sex und ein bisschen Spaß?”

Sicher, also nicke ich und erwähne beiläufig den Grund meiner Reise. Pedro stupst mich an, zeigt auf seine Uhr und malt Kreise im Uhrzeigersinn.

„Er fragt,” sagt der Angestellte, „ob Sie um 20 Uhr Zeit haben?”

Ich fasse es so zusammen: „Si, Señor.”

 

QuimMonzoBarcelonaLondonBar_4Das Zimmer liegt natürlich zur Straße, zum Krach hin, aber es ist ja kein Sommer, deshalb weniger laut, und ich hole den Flachmann Rum aus dem Koffer, trinke schluckweise und denke ans Spesenkonto. Wie das italienische, so fängt auch das spanische Nachtleben erst sehr spät an, besonders auf der Rambla. Tagsüber verkauft man Blumen, Vögel, Gemälde und anderen Ramsch. Wer Kitsch mag, dem wird hier kein Schmerz zugefügt. Am Plaça de Catalunya darf man weder den Brunnen Font de Canaletes verfehlen, noch vergessen sein bleihaltiges Wasser zu trinken. Während tagsüber Händler und Cafés ihre Geschäfte machen, ist abends/nachts das Kneipenleben aktiv. Ich befinde mich keinen Steinwurf vom Barrio Gòtic entfernt. Pedro ist pünktlich. Seine kurzen Arme hängen baumelnd über der Lehne des Korbsessels. Er hat sich breitgemacht, Fischer auf Tour ohne Angelschnur. Er sagt etwas zum Rezeptionist. Beide lachen. Was für ein Zufall, dass die beiden gerade dann lachen als ich die Treppe runterkomme.

„Na, Pedro, was hat Madrid in den Nächten zu bieten?”

„Si, Señor.”

Heilige Scheiße, denke ich, der Kerl hält mich für rammdösig. Aber er macht einen netten Eindruck, und ich bin ein Mann von Welt mit journalistischem Auftrag.

„Kennst du Quim Monzó?”

„Si, Señor.”

„Weißt du wo er wohnt?”

„Si, Señor.”

„Dann fahr mich hin.”

Wohin es wirklich geht wissen nur die Götter, den quirligen Straßenverkehr können nur sie entschlüsseln, eventuell Pedro, aber nicht ich. Wir fahren für knapp 10 Euro durch das Altstadtgewimmel. Hier ist es nicht anders als in jeder heißen europäischen Großstadt, die ihr wahres Leben erst nach der Dunkelheit offenbart, mediterranes Flair, das Meersalz in der Luft und die Abgase der Autos in den Lungen. Pedro lächelt, er mustert mich im Rückspiegel.

„Quim Monzó? Si, Señor.”

Dann hält er plötzlich an. Zeigt auf das Schild einer Kneipe. London Bar. Nou de la Rambla 34. Südlich des berühmten Boulevards. Er hat mich wieder im Kreis gefahren. Huren gehen auf und ab, Zuhälter und offensichtliche Drogendealer folgen ihnen, bzw. halten sich gegenseitig auf Distanz. Sie alle ignorieren die gelangweilten Blicke der patrouillierenden Polizisten, aber sie beäugen mich und das Pfannkuchengesicht. Pedro bleibt locker, ich sage: „Falls ich hier Quim Monzó finde, gebe ich einen aus.”

 

QuimMonzoBarcelonaLondonBar_2Laut Reiseführer hat die London Bar Atmosphäre und Tradition, sie ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine Heimstatt der Boheme. Heute wird sie von Freaks und Planet-Travellers besucht, was aufs Gleiche rausläuft. Auf den ersten Blick ist die London Bar nichts besonderes, früher allerdings war es eine Kultstätte, in der Picasso, Dali und Hemingway ihre Drinks nahmen. Laut Reiseführer keine fünf Minuten von der Metro-Station Liceu entfernt, also vom Hotel California ungefähr 2-3 Minuten Fußweg. Gerade wird die kleine Bühne hinter der Bar mit Instrumenten bestückt, hier spielen lokale Underground-Bands ein bisschen die Vergangenheit auf. Da mein Spanisch genau zwei Redewendungen beherrscht, nämlich “Guten Tag” und “ein Bier, bitte”, bestellte ich mit Pedros Hilfe zwei Flaschen Bier – die seichten Jungs im Background trinken Cava, die härteren Absinth. Dann stütze ich mich mit den Ellbogen auf den Tisch und halte beide Hände in Gesichtshöhe und reibe Daumen, Zeige- und Mittelfinger, und es sieht aus, als würde ich eine imaginäre Zigarette drehen.

„Joint, Pedro, GRAS, Marihuana, you know?”

„Si, Señor.”

„Bevor Monzó kommt,” murmele ich.

 

QuimMonzoBarcelonaLondonBar_5Der ausländische Besucher, der nicht zufällig hier einkehrt, kommt wegen dem Flair der Vergangenheit, dem Abglanz der alten Zeiten, und da sich äußerlich nicht viel verändert hat, gilt diese Bar als Touristennepp wie “Tootsie’s ” in Nashville/USA, und es könnte glatt die Kulisse eines Katalanischen Schriftstellers sein. Immerhin, die kleine Flasche Bier kostet 3 Euro, die Livemusik der Jazzgruppe ist mangelhaft, aber Pedro und ich sitzen an einem Tisch im vorderen Bereich, sein Kuchengesicht grinst, dann steht er auf und geht zur Toilette.

Zuerst spricht mich eine afrikanische Hure an, dann ein marokkanischer Zuhälter, später ein baskischer Dealer. Ob Pedro diese Begegnungen inszeniert hat, oder ob sie jeden Abend bei beliebigen Besuchern stattfinden, bleibt schleierhaft, jedenfalls reicht mir Pedro ein in Alufolie gewickeltes Stück. Riecht nach “Afghane”. Macht 20 Euro.

„Ist das wenigstens guter Stoff?”

„Si, Señor.”

Es ist guter Stoff, den ich wie selbstverständlich auspacke und in meine Selbstgedrehte brösele. Pedros Lächeln wirkt zufrieden, nun ist er mir ein guter Freund und stummer Gesprächspartner. Er redet nicht, er stupst unsere leeren Flaschen an und bestellt neue. Später wird es ihm zu bunt, er formt seine rechte Hand zu einer Öffnung und schlägt mit der flachen linken drauf: „Ficki, ficki, Señor?”

„Quim Monzó kommt heute wohl nicht mehr, hm?”

„Si, Señor.”

Egal, ich bin dicht, müde und betrunken. Die Spesen sind verprasst. Fast. Mach ich aus Monzó eben ein Gonzo-Artikel. Wer Vorschüsse bezahlt, muss damit rechnen.

„Hol mich morgen um 10 Uhr vom Hotel ab, mein Flug geht um 12. O.K.?”

„Si, Señor.”

 

Langsam zerfließt die Nacht. La Rambla liegt noch im Dunkeln. Draußen zeigen die Blumenstände der Palau de la Virreina das erste Leben, und wenn die Columbus-Statue schon geöffnet hätte, würde ich hochfahren und runterspucken. Kurz bevor ich das Hotel California betrete, läuft mir eine junge Frau von hinten in die Hacken: „You are looking for Quim Monzó?”

„Si.”

Ich weiß nicht, was sie will, aber sie weiß, was ich habe. Folglich rauchen wir Joints, trinken die Mini-Bar leer, ich hole zwei Kondome aus meiner Tasche und sie ein bisschen Koks, dann ziehen wir uns zuerst jeder eine Line rein, später stülpt sie mir die Präservative doppelt über. Nun, es gibt Dinge die man bereut bevor man sie tut – und man tut sie doch, weil Anspruch und Zuspruch auf niedrigem Niveau verharren. Die Nutte schubst mich wach, sie will gehen und will Geld. Ich stecke ihr 100 Euro zu und frage: „Wo finde ich denn Quim Monzó?”

„Quim Monzó? Who the fuck is he?”

 

QuimMonzoBarcelonaLondonBar

Hartmut Malorny

absolviert 1974 den Hauptschulabschluss cum laude. Stationen: Verkäufer, Vertreter, Gleisbau, Hilfsarbeiter, Faktotum, Arbeitslosengeldempfänger, Bundesbahn, Auslandsaufenthalte in Frankreich, Italien, Südostasien. Ledig, verheiratet, geschieden, Vater mehrerer Kinder. Verfasst Gedichte, Geschichten, Romane und Artikel. Trinker mit den üblich kontroversen Meinungen. Einige Lesungen. Zur Zeit Sonderreiniger.

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