Tatort Schwarzwaldsteig: Dinner for two

„Töter, töten Sie mir nicht den Nerv und ziehen Sie die Wanderstiefel wieder aus!“

Kommissar Torsten Töter verzog missmutig das Gesicht, bevor er sich ächzend über seinen Wanst beugte und in Zeitlupe einen Schnürsenkel aufzog.

„Ihre morgendlichen Kalauer in allen Ehren, Chefin, aber so kämen Sie nie zu einer Hauptrolle im Tatort“. Er keuchte beim Sprechen.

„Das hier ist nicht der Tatort, Töter, das ist ein Regiokrimi, wie er leibt und lebt. Jemand hat nämlich zwei Wanderer gekillt. Aber nicht, wo Sie denken. Also beeilen Sie sich, andere Schuhe und Abmarsch!“

Sie hatte längst ihren zinnoberroten Lackmantel übergeworfen. Ihr Lieblingsstück, in dem man sie an jedem Tatort schon von weitem identifizieren konnte. „Sieht man die Blutspritzer nicht so“, sagte sie, wenn die Kollegen witzelten, sie würde im Wald die Böcke aufscheuchen und nicht nur dort.

„Nicht schon wieder tote Wanderer?“, schimpfte Töter.

„Ja, doch, aber die liegen wohl im vollen Ornat samt Rucksack und Butterbroten im Swimmingpool unseres allseits beliebten Wellnessluxushotels ‚Zur Sonne’, das wie jeden Donnerstag das Dinner for two anbietet – zwei Essen zum Preis von einem.“

„Wieso quatschen Sie so gestelzt?“

„Weil wir am Schwarzwaldsteig sind, mein Guter. Weil sich ein Regiokrimi für Werbeeinschaltungen geradezu anbietet.“

Torsten Töter humpelte in Lederschuhen mit seiner grellroten Chefin die zwei Minuten zum Tatort. Man hatte Barbara Brenneisen in den Schwarzwald versetzt, weil sie in ihrer alten Dienststelle in Ludwigshafen zu oft während der Dienstzeit Komparsenrollen im ‚Tatort’ angenommen hatte. Seither litt sie an Depressionen, aß eimerweise Spreegurken und las während der Dienstzeit Eifelkrimis.

Sie trafen zuerst auf Hansi Schluchseher, den Wirt des ländlichen Nobel-Etablissements.

„Könnten wir bitte … die Gäste sitzen bereits … die Hintertür … bitte … mein Ruf … bitte mit Dezenz … bitte“, stammelte er.

„Das heißt Diskretion“, murmelte die Brenneisen.

„Bitte?“

„Diskretion, nicht Dezenz, bitteschön.“

 

Swimming-PoolIm Swimmingpool trieben pfundweise Rosenblütenblätter, erloschene Schwimmkerzen, Schluchsehers Tantrakarmatschigongfluidum zu 58 Euro die Flasche, in Alu verpackte flache Scheiben, jede Menge Blut, zwei nackte männliche Leichen mit Wollsocken und Wanderstiefeln und noch mehr Blut.

„Haben heute wohl Schlachttag!“, witzelte Torsten Töter.

„Nein, Dinner for two, Herr Kommissar. Nur verschrecken Sie mir nicht die Gäste, alles deze… bitte, äh, diskret bitte.“

Hauptkommissarin Brenneisen stach mit ihrem Zeigefinger dem Wirt fast die Augen aus. „Jetzt sag ich Ihnen mal was, Schluchseher. Wenn wir hier fertig sind und wenn wir hier alle Namen nennen, dann können Sie sich morgen vor Gästen kaum noch retten! Vergessen Sie das Dinner for two, denken Sie unternehmerisch, servieren Sie Tote zum Krimibrunch!“

Schluchseher blieb der Mund offen stehen. Inzwischen hatte der Gerichtsmediziner die Leichen auf dem Trockenen in Rückenlage gebracht. Blass und frisch gewaschen sahen sie aus. „Riechen nach Karma…“, brummelte der Mediziner.

„Wenn das mal nicht unsere Herren Doctores sind!“ Töter feixte. „Ich sag’s ja: Sport ist Mord. Was haben die mit ihrem Bergmarathon angegeben. Und jetzt schwimmen sie in Blutsoße.“

„Sagten Sie Blutsoße!?!?“ HK Brenneisen schleuderte den zinnoberroten Lackmantel von sich und bohrte mit dem rechten Daumen im linken Nasenloch. In diesem Stadium duldete sie keine Unterbrechung. Während sie bohrte, analysierte sie rattenmesserscharf jeden noch so vertrackten Fall.

„Ein Serienmord beim Dinner for two. Sozusagen alle beiden Gäste ausradiert. Ein Ritualmord mit Kerzen und Geruchsgedöns, Wasser, Wadenstrümpfe. Das hat sicher alles eine Bedeutung für den durchgeknallten Mörder, wir müssen ein kirchliches Umfeld in Betracht ziehen. Wegen der Wadenstrümpfe womöglich ein Internat, vielleicht ein in der Vergangenheit unaufgeklärter Missbrauchs… Nein. Warten Sie!“

Die Hauptkommissarin bohrte innig weiter und drehte dann etwas Winziges zwischen Daumen und Zeigefinger. Schnippte es in Richtung der Leichen.

„Warten Sie, das ist ja interessant. Der Leiter der Schönheitsklinik, tot, der Leiter der Fastenklinik, tot. Das sind alles Ingredienzien, nach denen die Hausfrau beim Krimi giert, schön übergossen mit Blutsoße und Sauerei. Und vielleicht gibt’s von unserem Sternekoch Bernauer ja noch das Gratisrezept dazu, was, Schluchseher?“

Sie schnippte etwas von seiner Schulter und redete weiter: „Das Tableau hat leider einen Schönheitsfehler.“

„Welches Tabu bitte?“, fragte Schluchseher hilflos.

„Tableau bitte“, grunzte Töter und fragte vorsichtig: „Mit dem Schönheitsfehler, meinen Sie da den Schönheitschirurgen, Chefin?“

„Ach was, Blödsinn, bitte!“, rief die. „Schauen Sie doch hin auf das Tableau.“

Schluchseher stierte die Kriminalerin an. Töter schaute erst auf die eine Leiche, dann auf die andere. Der Gerichtsmediziner fixierte Töter und meinte: „Keine Spuren von äußerer Gewalteinwirkung. Wir müssen erst die Obduktion abwarten.“

Die Chefin fixierte einen nach dem anderen. „Seid Ihr denn komplett verblödet? Das ungeheure Verbrechen hier fällt doch jedem ins Auge. Wenn das publik wird, kann hier jemand dichtmachen, Schluchseher. Ich meine, das ist doch ungeheuerlich, was da passiert ist, also bitte, das ist so was von ungeheuerlich!“

„Also bitte?“, fragte der Wirt.

„Passen Sie mir auf, dass Sie nicht noch als Mittäter verhaftet werden“, schnauzte die Brenneisen ihn an.

„Wie bitte?“

„Beihilfe!“

Töter trippelte von einem Bein aufs andere. Insgeheim war er froh, nicht mit Wanderstiefeln herumtrampeln zu müssen. Wenn seine Chefin doch nur nicht immer Fernsehen spielen und alles derart dramatisieren würde! Aber wenn sie etwas Winziges zwischen Daumen und Zeigefinger gerollt und weggeschnippt hatte, war in der Regel der Höhepunkt gekommen. Nur wenige Sekunden später würde sie nämlich den Finger wechseln: linker Daumen ins rechte Nasenloch. Das war der Augenblick, in dem sie noch jeden Fall allein durch Nachdenken gelöst hatte. Wieder schnippte sie etwas Winziges in Richtung der fußbekleideten Klinikchefs.

„Hirnschmalz“, sagte sie lapidar. Griff nach ihrem Lackmantel, grinste in die Runde und klärte sie auf: „Alles mit Hirnschmalz zu eruieren. E-ru-ieren, Schluchseher. Steht im Fremdwörterlexikon vor Tableau. Und dieses Verbrechen ist so ungeheuerlich, dass es nicht eruiert werden muss. Die Lösung drängt sich von selbst auf.“

Töter hibbelte herum. „Nun sagen Sie schon.“

„Sieht das denn keiner außer mir? Der Chef der Fastenklinik geht zum Dinner for two. Der Fa-sten-klinik!“

Sie drehte sich zur Spusi. „Leute, packt zusammen. Lasst die Leichen wegschaffen. Die Zimmermädchen können putzen. Wir ermitteln hier nicht in einem Mordfall, sondern in einem gastronomischen Betrugsfall. Das hat ja nicht gut gehen können. Der Chef der Fastenklinik beim Essen, mit Zeugen, Schluchseher! Kein Wunder haben die ihre belegten Brote in den Pool geschmissen!“

„Bitte, ja bitte?“

„Was servieren Sie denn heute zum Dinner for two?“

„Wildschweinragout an Hagebutten-Rotwein-Mousse mit handgeschabten Spätzle und Salaten der Saison, als Vorspeise eine hausgemachte Entenleberpastete auf Tokayergelee – und zum Schluss die Kastanien-Cassata mit Mandelsahne auf einem Rosenlikörspiegel, bitteschön.“

„Kein Wunder.“

„Bitte äh, bitte wie?“

„Ausgebittet hat sich’s. Reservieren Sie uns zwei Plätze und keiner zahlt und schreiben Sie das Mordsrezept für die Leserinnen auf.“

„Darf ich bitte auch die Adresse und die Öffnungszeiten … ?“

„Na klar. Wir sind ja hier im Regiokrimi, da soll man sogar.“

Töter lachte schallend und fragte: „Wenn ich auch ein Witzlein einschalten dürfte, Chefin?“

„Keinen Kalauer?“

„Keinen Kalauer. Wollte abschließend nur bemerken, dass es mit der Fastenklinik jetzt Essig ist.“

„Balsamico bitte“, ließ sich Schluchseher vernehmen. „Wir verwenden hier ausschließlich Balsamico!“

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Dan Rocco (Dirt Diggin Dog): Rouge & Revolver
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Dirt Diggin Dog

DDD wollte eigentlich als Frau auf die Welt kommen, hasst aber Frauenkrimis zu sehr. Brüllte bei Abnabelung Heavy Metal und trägt immer noch keine Krawatten. Mit fünf Jahren leere Sprechblasen aus Comics als Hörbuch eingelesen. Erstes Poem mit zwölf Jahren: „Mein Ascher stinkt wie blaue Weizenkleie’“. Jobs als Fernfahrerbeifahrer, Leichenwäscherhelfer, Literaturpreismanuskriptesortierer, Siebdruckfarbanrührer und Tanzboy. Studium bei Raymond Chandler und Dagobert Duck. Erster Roman: über die Sprechpausen Phil Marlowes. Gewann fünf Pfund Butter beim renommierten Regiokrimi-Preis „Butter bei die toten Fische“. Lieblingsschriftsteller: Jack Torrance. DDD lebt und arbeitet nach dem Prinzip von Tschechows Rasierklinge in Cleveland, Neustadt an der Weinstraße und Clichy. Aktuelles Buch: "Rouge & Revolver - 10 Schnellkrimis" (under dem Pseudonym Dan Rocco).

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