Moneyshot, Kapitel 4

„Ursprünglich war MONEYSHOT ein Hörspiel, das der WDR produziert hat. 2006 oder 2007  begann ich damit, es zu erweitern und zu einem Roman umzubauen. Hörspiele folgen bekanntlich einer anderen Dramaturgie. Diese Szene war nicht im Hörspiel. Für den Roman habe ich bewusst diesen behavioristischen Stil gewählt, den die Angelsachsen so perfekt beherrschen. Das ist anders, als der übel gelaunte allwissende Erzähler, den ich in den Gill-Romanen verwende. Deswegen habe ich MONEYSHOT auch liegen lassen, als ich LUCIFER CONNECTION schrieb. Im Grunde gilt auch für mich die Prämisse: Wenn man einen Roman schreibt, muss man dran bleiben und kann/sollte nichts anderes nebenher machen bis die erste Fassung steht. Bei MONEYSHOT arbeite ich sporadisch (zwei Drittel sind fertig), da ich durch das Hörspiel auf die Plotstruktur und das meiste Personal zurückgreifen kann. Es ist für mich so etwas wie eine zweite Fassung. Inhaltlich versuche ich die schwarzen Welten eines Philip Loraine, Bruno Fischer, Francis Ryck oder Elliott Chaze auf deutsche Milieus und Mentalitäten zu übertragen.
Das hier ausgewählte Kapitel kann m.E. für sich stehen und braucht nicht den Kontext des Romans.“

4.

Samba fuhr zügig durch die Stadt – soweit es der Verkehr erlaubte. Aus der Stereoanlage tönte  teutonische Rocksentimentalität der Scorpions. Samba mochte bombastische Musik. Und er mochte, was er gleich tun würde. Seine Gedanken glitten krachend durch seine Erinnerung. Wie war er geworden, was er  war? Als Kind hatte Samba sein kleines Zwergkaninchen, das er sehr liebte, umgebracht. Anschließend musste er tagelang weinen. Er wollte wissen, ob Gott ihn an so einer schrecklichen Tat hindern würde, er hatte sogar darum gebetet. Aber Gott rührte sich nicht. Ihn interessierte das Schicksal von Zwergkaninchen einen Dreck. Gott hatte es zugelassen. Wenn man das tun konnte ohne dass Gott es verhindert, folgerte der kleine Samba messerscharf, dann war es okay schlimmes zu tun. Oder es gab keinen Gott. Dann war alles erlaubt. Oder es gab doch einen Gott, dann war der nicht allmächtig und konnte nichts gegen die ungeheuren Grausamkeiten unternehmen, die täglich geschahen. Ein solcher schwacher Gott taugte nichts. Auf so ein Weichei konnte Samba verzichten.

Er fuhr auf eine Kreuzung zu. Auf dem Bürgersteig sah er Schmudtke, der nervös herumtänzelte. Er trug einen zu großen Anzug, der bessere Zeiten gesehen hatte, und seine Augen waren stark gerötet. Das blonde Haar war mit Gel an den länglichen Schädel angeklatscht. Bis zu Sambas Anruf hatten sich seine Sorgen darauf beschränkt, dass er seine bettlägerige Mutter mal wieder im Pflegeheim besuchen sollte. Jetzt hatte er ein paar neue Sorgen dazu bekommen. Samba bedeutete nie was Gutes. Die Limousine glitt neben ihn, hielt und Samba stieß die Beifahrertür auf.

„Du siehst wie ein Penner aus, der die Nacht durchgemacht hat.“

Der ehemalige Seemann Schmudtke war ein Penner, der die Nacht durchgemacht hatte. Er war feige und brutal und diese Kombination hatte ihn mehrfach vor dem Tod bewahrt. Und zu erbärmlichen Wohlstand geführt. In Hongkong hatte er wegen einer Uhr jemanden die Hand abgehackt, um schneller verschwinden zu können. Seine Überlebensstrategie war der Betrug: Im richtigen Moment die Seiten wechseln oder andere im Stich lassen.  Schmudtke führte für Schark eine miese Spielhölle und hörte alles. Er war so unauffällig, dass man ihn erst bemerkte, wenn man sich verquatscht hatte.

„Ich hab kein gutes Gefühl dabei“, sagte er, als er ins Auto stieg.

„Dein Gefühlsleben interessiert nicht mal deine Mutter, du Penner. Kannst du dir nicht mal ein paar gut sitzende Fahnen kaufen?“

„Ich hab in letzter Zeit so abgenommen. Der Stress. Ich opfere mich für Schark auf. Hab einen Zwanzig-Stunden-Tag.“

„Da muss ich ja unbedingt mit Schark drüber reden. Damit du ne längere Mittagspause kriegst. Soviel Freizeit möchte ich auch mal haben.“

„Du machst Detto doch nicht hin?“

„Nur eine Abmahnung. Hab ich dir doch gesagt.“

„Weiß er, dass wir kommen?“

„Klar. Eine kleine Spritztour.“

„Schark muss mir was anderes geben. Diese Spielothek macht mich krank. Nur Asoziale und Rentner. Ganz schlechtes Publikum. Bleibt nicht viel hängen.“

„Ist Scharky auch schon aufgefallen.“

„Was? Wie mies die Geschäfte gehen? Das ist die Lage. Er muss mir was in der Stadtmitte geben. Nicht so einen abgefuckten Puff am Stadtrand.“

„Seit Monaten bringst du immer weniger.“

„Da ist nichts zu melken. Alles ist teurer seit dem Scheiß-Euro und die Leute verpulvern nicht mehr soviel. Wir stecken mitten in einer Wirtschaftskrise. Hörst du jeden Tag im Fernsehen.“

Samba bog in eine Sackgasse. Am Ende der Strasse war eine fünf Meter hohe Mauer, die elende Häuser noch zusätzlich beschattete. Samba drückte auf die Hupe. Sekunden später trat ein Mann aus einer Haustür. Er grinste breit von einem abstehenden Ohr zum anderen und ging schleppend und schwerfällig zum Auto. Ächzend ließ er sich auf den Hintersitz fallen.

„Dann mal los. Wie geht’s, Schmudtke? Noch immer an Land? Ich dachte, du wolltest wieder auf See.“

Schmudtke knurrte etwas Unverständliches. Samba fuhr an.

„Ich fahre jetzt zu diesem scheiß Steinbruch.“

„Aber gerne. Schön ruhig da. Stillgelegt. Bis auf weiteres“, lachte Detto unmotiviert. Schmudtke konnte soviel Blödheit kaum glauben.

„Wie war das Geschäft heute Nacht?“, erkundigte sich Samba.

„Es ging. Dieser russische Bastard war wieder da. Er will unbedingt mit dir verhandeln. Noch will er für den Laden bezahlen. Aber er wird langsam ungeduldig. Droht damit, seine Leute aus Berlin kommen zu lassen.“

„Ich blas ihm den Arsch über die Oder.“

„Hast du nie Besuch von den Russen?“, wandte sich Detto an Schmudtke.

„War mal einer da. Habe ihn sofort rausgeschmissen.“

„Ach ja? Da habe ich aber was anderes gehört.“

Wütend wandte sich Schmudtke zum Rücksitz. „Und was hast du gehört, Detto? Du hörst doch nur Scheiße. Du kannst nix gehört haben. Erzähle lieber nicht weiter so eine Kacke rum. Du hast selbst genug Probleme.“

Detto lachte. Dann zog er seine Rolex über die Knöchel der linken Hand. Bevor Schmudtke reagieren konnte, krachte die Faust in sein Gesicht und brach ihm das Nasenbein. Bei Schmudtke gingen die Lichter aus, als Detto ein zweites Mal zuschlug.

Außer sich vor Wut brüllte Samba: „Eh, du Arsch! Nicht in meiner Karre. Der blutet mir die Polster voll. Was bist du eigentlich für ein verblödetes Arschloch? Das ist echtes Leder, du Penner. Mann, das hat man davon wenn man sich mit der Gosse einlässt.“

Zufrieden ließ sich Detto zurückfallen. „Mach dir nix draus. Kannste alles reinigen. Da gibt es extra Mittel. Letzten Monat hatten die das beim Aldi im Angebot. Ich hab´ mir sofort ein paar Flaschen besorgt. Echt gut das Zeug. Ich mach das für dich. Sein Geschwätz ging mir echt auf die Nerven. Aber den Gestank von dieser Missgeburt kriegste bestimmt nicht raus. Hättest ne olle Karre nehmen sollen. Wieso ist der Idiot eigentlich so brav mitgefahren?“

„Weil ich ihm gesagt habe, wir würden dich abservieren. Hol mal die Wumme aus seiner Jacke.“

„Was? Wollte er mich etwa abballern? Das darf doch wohl nicht wahr sein. Der Kerl macht hinter deinem Rücken Absprachen mit den Russen und will mich dann ausknipsen, damit ich es dir nicht erzähle… Muss ihm mächtig gefallen haben, mich abzuservieren.“

Detto wühlte in Schmudtkes Klamotten rum bis er die Pistole gefunden hatte. „Was ist das denn? Eine Stetschkin? Hat er die von seinen russischen Freunden?“

„Eine was?“

„Alte russische Armeewaffe aus den 50ern. Wird heute nur noch von Spetnaz verwendet. Stangenmagazin mit 20 Schuss Makarow-Patronen. Kannste mit Feuerstöße abgeben. Musste ein guter Schütze sein. Ziemliche Streuung. Das Gewicht kann die Feuerstösse nicht kompensieren. Damit hätte der Arsch alles getroffen, nur nicht mich. Die Knarre dürfte sogar älter sein als sein vollgepisster Anzug.“

„Gib her.“ Samba hielt die offene Hand nach hinten. Detto schlug mit der Waffe auf Schmudtkes Schädel bevor er sie widerwillig Samba in die Hand drückte.

„Was ist mit dir? Hast du auch Feuerwaffen dabei?“

„Was soll das? Leitest du jetzt ein Abrüstungskomitee?“

„Wenn du eine Waffe dabei hast, will ich die sofort haben. Sonst baust du noch Mist.“

Das gefiel Detto nicht. „Meine P7 gebe ich niemanden. Wir sind praktisch unzertrennlich.“

Ruckartig hielt Samba den Wagen an. Detto wurde nach vorne geschleudert, Schmudtke rutschte vom Sitz. Samba packte Detto am Nacken und drückte den Hals in die Lehne. „Ich sage sowas nur einmal. Wer mich als Chauffeur hat, fährt unbewaffnet. Her mit der Waffe sonst zerquetsche ich dir das Genick.“

„Iss ja gut. Keinen Stress, Samba.“ Dettos Atem ging schwer. Er griff in seine Jacke, zog die Heckler & Koch heraus und reichte sie Samba.

„Na also. Verdammt nochmal. Ich komm mir vor wie im Kindergarten. Was ist eigentlich mit mir los? Habe ich an Autorität verloren? Wieso tut keiner mehr was ich sage? Bin ich geschrumpft? Denken alle, ich bin Pazifist oder sowas? Wieso versucht jeder mit mir Schlitten zu fahren?“

Samba fuhr wieder an und Detto lehnte sich vorsichtig zurück.

„Keinen Stress, Samba. Kein Mensch, der noch alle beisammen hat, zweifelt deine Autorität an.“

„Na, ich weiß nicht. Vielleicht muss ich mal so einen Kurs machen: Wie strahle ich Selbstvertrauen aus.“

Schmudtke kam langsam zu sich. Blut floss über Gesicht und Anzug auf den Sitz. Bevor er wieder voll da war, verpasste ihm Samba einen mit den Ellenbogen. Das genügte.

„Willst du ihn im Steinbruch verbuddeln?“

„Der Kerl zieht Schark seit Monaten ab, macht hinter unseren Rücken Absprachen mit den Iwans. Denkt, er ist Schröder. Was meinst du, sollte man mit ihm anstellen? Den Bambi verleihen?“

„Ist ja gut. Ich meine nur… Von mir aus ist er längst über die Zeit.“

Sie rasten eine steile, gut ausgebaute Landstrasse hinunter. Rechts Wald, links vereinzelte Häuser und Viehweiden. Am unteren Ende erhob sich ein mächtiger halb abgetragener Berg. Samba fuhr über einen Sandweg bis zu einem verschlossenen Gittertor.

„Mach auf. Im Kofferraum ist ein Bolzenschneider.“

Detto stieg aus, nahm die Zange aus dem Kofferraum und durchtrennte die Kette des Vorhängeschlosses. Samba fuhr in den weitläufigen Steinbruch. Detto schloss das Tor und trabte zu dem  geparkten Wagen. Samba stieg aus und sah sich um. Er entdeckte eine abgelegene Stelle. Er prüfte den Boden.

„Nimm die Schaufel und grab ihm eine schöne Ruhestätte.“

Schweigend machte sich Detto an die Arbeit. Samba rauchte eine HB. Interessiert beobachtete er Schmudtke. Aus seiner gebrochenen Nase perlten blutige Blasen.

„Weiter“, sagte Samba als Detto die Schaufel hinwarf.

„Ist doch Scheiße. Dauert Stunden.“

„Hast recht“, sagte Samba und schoss Detto mit der Schtetschkin zweimal in die Brust und einmal in den Kopf.  „Die ist doch prima. Von wegen Streuung.“ Dann zog er Schmudtke aus dem Auto und warf ihn in die Grube. Er sprang hinterher und drückte ihm die Pistole in die Hand. Er ging zurück zum Auto und holte Dettos P7, mit der er dem röchelnden Schmudtke so oft in den Kopf schoss, bis nichts mehr da war. Er säuberte den Griff und drückte die Waffe in Dettos erkaltende Hand

„Als ob man einen Thunfisch in der Dose abknallt. Für ‘ne oberflächliche Untersuchung dürfte das reichen.“ Schweigend betrachtete Samba sein Werk und wartete darauf, dass die Kraft der Getöteten in ihn fuhr, von seiner toten Seele aufgesogen wurde. Er fühlte nichts. Wahrscheinlich bekam man diesen spirituellen Übergang nicht richtig mit. Aber Samba glaubte fest daran. Bei irgendwelchen Eingeborenen lief das schließlich auch so. Oder musste man irgendwelche Teile der Opfer auffressen? Das müsste er gelegentlich mal nachschlagen.

Samba blieb noch eine Weile im Steinbruch.  Dann sah er auf die Uhr: Höchste Zeit, Schark zu treffen.

 



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Martin Compart

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