Haben Sie Verständnis!

Heinrich Simpel hat heute gute Laune. Das Wetter ist schön, er hat gut geschlafen. Simpel lebt noch nicht lange allein. Christine hat ihn vor drei Monaten verlassen. Simpel genießt seinen Kaffee. Immer wieder mal hat er den Umstieg auf Tee versucht, um Christine zu gefallen. Es sei kulturlos, Kaffee sei so gewöhnlich, war ihre Meinung. Simpel hat das nicht verstanden, der Tee schmeckte ihm ganz einfach nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum sie sich mit seinem Chef eingelassen hat. Simpel versteht, dass der jüngere Mann eine gute Partie ist, finanziell unabhängig, mit guten Beziehungen. Darauf hat Christine immer Wert gelegt. Dennoch bedauert er ihren Weggang manchmal, an den Abenden. Dann fühlt er sich doch allein.

papierschnipsel_120x790aSimpel geht zur Bank. Er hat gespart, für den Ruhestand. Die Gesundheit macht nicht mehr so mit, die morschen Knochen mussten eine ganze Menge aushalten. Er freut sich auf ein paar geruhsame Jahre. Er wird sie wohl allein verbringen – seit einem Arbeitsunfall ist er gezeichnet. Das wird es nicht leichter machen, eine neue Partnerin zu finden.

Als erstes will er Geld besorgen und sich neu ausstatten. Äußerlichkeiten sind ja so wichtig heutzutage. Er hat einen Termin um 11:00 Uhr, man hat darum gebeten. Simpel ist pünktlich in der Filiale. Eine freundliche Auszubildende – zumindest denkt Simpel sich, dass sie Auszubildende ist, sie sieht so jung aus – bittet ihn, noch einen Augenblick Platz zu nehmen. Simpel nimmt gerne Platz, er hat weiterhin gute Laune, denn er hat für seinen kleinen Toyota Starlet einen Parkplatz direkt vor der Tür gefunden. Sein treues altes Gefährt – der Wagen hat ihn noch nie im Stich gelassen. Simpel liest in der Zeitung ein Märchen vom Klassenkampf und besieht sich die Menschen, die in die Bank kommen. Einer nach dem anderen tröpfelt herein. Es wird nie richtig voll. Das muss daran liegen, dass einige ihre Bankgeschäfte heutzutage im Internet erledigen, vermutet Simpel. Um 13:30 Uhr kommt Herr Scharck, der Herrn Simpel seit einigen Jahren berät. Herr Simpel freut sich, denn Herr Scharck ist ein netter junger Mann, nicht einer von diesen rücksichtslosen Lümmeln mit Tätowierungen oder gar einem Ring durch die Nase.

„Guten Tag Herr Simpel, bitte folgen Sie mir!“

Simpel folgt Herrn Scharck vertrauensvoll.

„Nehmen Sie Platz. Tja, Herr Simpel, wie soll ich es Ihnen sagen?“

„Was möchten Sie mir sagen?“

„Nun, ich habe mir Ihre Depots noch einmal angesehen. Wir haben ja einige Umschichtungen vorgenommen.“

„Aha. Sehr schön.“

„Ja, leider Karznulnihemser hergulatschikow Littnis haruki terlempen.“

„Bitte?“

„Nun ja, es ist… wir hergusellen dem Ghulitscharof beltoffen Sie gemaltner. Derfüs hit sillen bernutschi Harlampen. Verstehen Sie? Das Geld ist weg!“

„Oh, das ist aber schade.“

„Ja, nicht wahr. Aber keine Sorge, Sie jomben Hurgare himsimblen Graft seilen huasi krempen. Mit anderen Worten: Einen Großteil der Verzugszinsen können wir Ihnen stunden.“

„Aha. Aber heißt das…“

„Genau, die Angelegenheit kostet Sie keinen Pfennig zusätzlich.“

„Ja. Nun, mein Geld…“

„Ihr Geld ist grusaliter Wegkommski herren Suhlbar harrnitscher Pong. Sie müssen nur noch die angefallenen Verzugszinsen ausgleichen, dann sind wir quitt.“

„Das ist ja schön.“

„Ja, ich habe mich persönlich für Sie eingesetzt.“

„Danke, danke. Aber ist das wirklich rechtens?“

„Mein lieber Simpel, ich verstehe Ihre Überraschung. Glauben Sie mir, auch wir waren perplex, als Flatullen hurzig gremselleren delli Pong bornfer situarse. Das können Sie mir schon glauben. Nur einen Vorwurf möchte ich bitte nicht hören. Da bitte ich Sie dringend um Verständnis!“

„Ja, ja.“

„Dann auf wiedersehen. Ich lasse Ihnen die Rechnung per Post zukommen. Sehen Sie nur zu, dass Deckung auf dem Konto ist, andernfalls müssten wir krampen Harloss hirgriffen im akterelsu Harlassenbong, das verstehen Sie sicher.“

„Ja, ja natürlich, vielen Dank.“

Simpel freut sich, dass er so einen freundlichen Gesprächspartner hat und geht hinaus. Er weiß nicht so genau, was besprochen werden sollte, aber er vertraut auf die Qualifikation des jungen Dynamikers, der sein Handwerk versteht.

papierschnipsel_120x790bAls Simpel auf die Straße tritt, stellt er fest, dass sein Starlet von zwei anderen Autos eingekeilt ist. Eine schwarze Rollsley Limousine ist bis ganz an seine hintere Stoßstange herangefahren, vorne gibt es vielleicht noch einen Zentimeter Spielraum zwischen seinem Toyota und einem roten Audighini Sportwagen. So ein Fahrzeug hat Simpel immer aus der Nähe sehen wollen. Der Fahrer lehnt lässig an der Tür. Er trägt eine auf alt getrimmte Jeans und ein gutsitzendes, tailliertes Hemd. Seine Haare sind kurz und er hat natürlich eine Sonnenbrille auf, bei diesem schönen Wetter.

„Guten Tag.“ grüßt Simpel freundlich.

„Was willst Du, Alter?“ erwidert der junge Sportwagenfahrer, der einem Plausch nicht abgeneigt scheint.

„Ein schönes Auto haben Sie da.“

„Geil was? Nicht so eine alberne Blechdose, wie Du, Opa. Dein Eimer hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, was?“

„Ja, ich bin sehr froh, ich habe den Wagen gut gepflegt.“

„Sieht man nichts von. Jetzt verpiss Dich!“

„Danke, ja. Sagen Sie…“

„Was willst Du denn noch?“

„Könnten Sie vielleicht ein Stück vorfahren?“

„Nein. Ich sag doch, verpiss Dich, Alter!“

„Ja, gut.“

Simpel tritt zurück und bedauert, dass der junge Mann trotz des schmucken Fahrzeugs nicht so gute Laune hat wie er selbst, an so einem schönen Tag wie heute.

Langsam und respektvoll tritt Simpel an die Limousine heran, die hinter seinem Toyota steht. Gerade als er an die Scheibe klopfen will, geht die Beifahrertür auf. Ein großer Mann mit Glatze und einem langen Bart steigt aus und baut sich vor Simpel auf. Er überragt ihn um einen ganzen Kopf.

„Guten Tag.“ grüßt Simpel.

„Was glaubst du, was du da machst. Finger weg von dem Wagen, Alterchen.“

Simpel tritt einen Schritt zurück.

„Ich wollte keinesfalls Unannehmlichkeiten verursachen. Ich hoffte nur, Sie könnten vielleicht ein kleines Stück zurückfahren, damit ich ausparken kann.

„Verpiss Dich, Du Penner!“ erwidert der große Mann schneidig.

Simpel kann nicht umhin, die stattliche Figur des Riesen zu bewundern. Offenbar ist er Leistungssportler. Das hintere, getönte Fenster der Limousine fährt herunter. Jemand mit einem Mikrofon sitzt da und ruft Simpel an.

„Komm mal her, Alter!“

Unter den argwöhnischen Augen des auf Sicherheit bedachten Riesen nähert Simpel sich dem offenen Fenster. Der Mann im Fond hält Simpel ein Mikrofon hin. Auf dem Schaumstoffball ist das Logo eines Kölner Privatsenders zu sehen.

„Sag mal… sagen Sie, Banken-Bashing, Sie haben davon gehört. Die Leute beschweren sich, dass das Finanzsystem zu kompliziert sei. Sozialisierung von Verlusten und so weiter. Einige fordern, dass Banken verstaatlicht werden sollten. Was halten Sie davon?“

„Ich…“

„Da wird gesagt, dass man die Verursacher zur Rechenschaft ziehen soll. Angeblich läge die Schuld bei Managern, Aktionären und bei Politikern, die sich vor unpopulären Entscheidungen drücken und zu viele Schulden machen. Ist das nicht eine Fehleinschätzung?“

„Nun, das…“

„Ist es nicht so, dass schmierige Kleinbürger wie Sie mit ihrer Geldgier verantwortlich sind? Nicht zuletzt Sie haben ja nach all diesen dubiosen Finanzinstrumenten verlangt, Sie haben gewählt, nicht wahr?“

„Gewählt? Ja, ich habe…“

„Da sehen Sie es, der Eindruck bestätigt sich einmal wieder, dass hier unbescholtene Vorstände und Volksvertreter haftbar gemacht werden sollen für die kurzsichtige Gier derjenigen, die sich …“

Während der Mann weiterspricht, fährt das Fenster wieder hoch, Mann und Mikrofon verschwinden. Simpel vermutet, dass das Gespräch nun beendet ist. Der Riese winkt mit dem Handrücken, das ist für Simpel das Signal, sich davonzumachen. Er wird später wiederkommen, um sein Kraftfahrzeug abzuholen.

papierschnipsel_120x790aErleichtert lässt Heinrich Simpel sich auf die Couch fallen. Seine schöne Altbauwohnung liegt zentral, so hat er es nicht weit zu allen Geschäften. Seinen täglichen Bedarf kann er zu Fuß decken. Solange es noch geht, will er den Umzug in eine der Seniorenverbrennungsanstalten verhindern. Natürlich versteht er, dass der Anblick von Gebrechlichkeit auf den Straßen den Aktiven nicht mehr zuzumuten ist. Alles dauert länger, man hält zwangsläufig den Betrieb auf, und Zeit ist bekanntlich heutzutage Geld. Die Gewissheit des Todes beeinflusst die Konsumfreudigkeit so nachhaltig, dass die Auswirkungen auf das Gemeinwesen und die allgemeine Zufriedenheit keinem der Leistungsträger zuzumuten sind. Simpel stellt all das nicht in Frage und bemüht sich, das Gute zu sehen, gute Laune zur Schau zu stellen und so lange wie möglich einen Beitrag zur Freude und zum Wohlbefinden der Leistungsträger zu leisten. Er öffnet einen der Briefe, die er im Briefkasten gefunden hat. Es ist die Mitteilung seiner Hausverwaltung, dass umfassende Umbauarbeiten anstehen. Simpel frohlockt bereits – schon im letzten Winter hat das fehlende Glas im Badezimmerfenster jede Dusche zum eisigen Abenteuer gemacht, aber als er weiter liest, dass alle bestehenden Mietverträge gekündigt werden müssen, ist er doch einen kurzen Moment betrübt. Es sei eine wigualdit Tralmadis nerdle huslöfargt Gerundimus, daher wurtzkerfotell Karlepong pong hunter Verlängerung. Simpel vermutet, dass es sich um einen komplizierten juristischen Sachverhalt handelt, aber alles seine Richtigkeit hat. Weiter heißt es in dem Schreiben, dass eine Frist von fünf Werktagen unbedingt einzuhalten ist, da ansonsten die Zwangsräumung unumgänglich sei. Das leuchtet Simpel ein, denn Planungssicherheit war auch ihm immer wichtig.

Ein weiterer Brief liegt da, Simpels Arbeitgeber teilt mit, dass ein neuer Vorstand einige Umstrukturierungsmaßnahmen vornehmen will. Die Vorteile der Globalisierung seien gerade für Deutschland als Exportnation nicht von der Hand zu weisen, dadurch habe man aber auch die Verantwortung, ein marktgängiges Lohnniveau zu etablieren, so dass die wirklich produktiven Arbeitsplätze langfristig gesichert seien. Zu diesem Zweck habe eine Arbeitsgruparselikrant graffertrobbl harseras Hellen wirtscher Sembellisims porkerprenten Pong hassen peng Ter wirrbel Granz. Simpel liest den Satz mehrfach durch und vermutet, nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse zu verfügen. Das muss der Grund sein, warum sich ihm der Sinn der Angelegenheit nicht erschließt. Er nimmt aber an, dass die Experten wissen, was zu tun ist und alles seine Richtigkeit hat. Leider, so heißt es abschließend, ist auch sein Arbeitsplatz betroffen, auch auf seine lange Betriebstreue könne aus dem wichtigen Grund der Hestleriszof keine Rücksicht genommen werden, er solle daher nur am kommenden Montag noch einmal erscheinen, um alle in seinem Besitz befindlichen Papiere abzugeben.

Simpel liest das Schreiben mehrmals. Er versteht, dass Fachleute die Entscheidungen treffen und dass dies kein Grund ist, sich die gute Laune verderben zu lassen. Er hat sich eine Flasche Bier gekauft. Er würde gerne zwei trinken, aber dafür reicht sein Geld nicht aus. Simpel hat immer sparsam gelebt. Roggenbrot ist auch noch da, und etwas Leberwurst. Butter ist teurer geworden. Simpel beschmiert eine Scheibe mit Leberwurst und schneidet sie in Streifen. So kann man das Brot besser greifen. Er nimmt die halbe Zwiebel, die er noch hat, schneidet zwei dünne Scheiben herunter und garniert damit die Schnittchen. Dann öffnet er seine Flasche Bier und beschließt, es sich richtig gut gehen zu lassen, am Fenster zu sitzen und aus der Flasche zu trinken. Simpel nimmt sich ein Leberwurstschnittchen nach dem anderen, genießt noch einmal den Blick aus dem Fenster auf die vielen bunten Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es wird viel investiert hier in letzter Zeit. Das ist gut. Er hat Zahnschmerzen.

 

papierschnipsel_560xEin paar Tage später schlachtet Simpel sein Sparschwein. Er will nachdenken und einen klaren Kopf bekommen. Bis zum Meer ist es nicht weit, und den Toyota kann er jetzt auch wieder nutzen. Er geht an einer Klippe spazieren und genießt die Sonne, den Wind. Die guten Dinge des Lebens kosten nicht viel. In der Nähe wird offenbar eine Art Gartenfest vorbereitet. Stehtische werden mit weißen Tüchern umwickelt, das sieht schön aus, findet Simpel. Schirme, Zelte werden aufgebaut, auch einen roten Teppich gibt es. Er betrachtet das bunte Treiben eine Weile, dann schlendert er weiter. Als er sich auf dem Rückweg befindet, ist das Fest in vollem Gange. Gutgekleidete Menschen, schöne, glitzernde Frauen sind zu sehen, das ist ein toller Anblick. Außen um die Feierstätte herum stehen Riesen, die trotz der Dämmerung Sonnenbrillen tragen. Ein Zaun wird aufgebaut. Simpel sieht gedankenverloren zu, bewundert all die edlen Herrschaften und freut sich, als die Gesellschaft näher zu kommen scheint. Die Riesen tragen Zaunelemente und wollen offenbar den Platz für die Feier zur Klippe hin erweitern. Simpel geht ein Stück zurück, die Riesen kommen heran und winken ihm mit dem Handrücken. Er geht noch ein Stück weiter zurück. Jetzt stehen die Riesen direkt vor ihm, sie halten eines der Zaunelemente, dahinter tummelt sich die muntere Festgemeinde. Immer näher kommt der Zaun, Korken knallen, Simpel hört gelöstes Lachen und fängt einige böse Seitenblicke ein. Einer der Riesen spricht ihn an.

„Bitte, sehen Sie nicht, dass Sie im Weg stehen, machen Sie Platz!“

Simpel weicht weiter zurück, dem Abgrund entgegen.

„Gut, danke, ein Stück noch. Bitte, haben Sie doch Verständnis!“

Simpel freut sich, dass die großen Herren so höflich sind und macht noch einen weiteren Schritt.

 

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Martin Wessely

* 1971, studierte nach dem Abitur und war in den letzten Jahren in verschiedenen Positionen im internationalen Dienstleistungsmarketing tätig. Über den beruflichen Umgang mit Sprache hat er seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckt. Er lebt und arbeitet in Köln. Aktuelles Buch: 'bipolar. Die Verteidigung der Mitte' (Ch. Schroer, 2012).

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