Bagdad Café – Wo endet der Traum, beginnt das Leben?

Schon kurz nach dem Frühstück ist es unerträglich heiß in der kalifornischen Mojavewüste. Die Septemberhitze flimmert über dem brüchigen Asphalt der alten Route 66, Coyoten stehen mit heraushängender Zunge hechelnd im kurzen, trockenen Gestrüpp und schneeweiße Wolkenfetzen sorgen im endlosen ausgebleichten Himmel für Perspektive. Da freut sich der Reisende sogar über eine der trostlosen Wohnwagen- und Bretterbudensiedlungen, mit denen die Mojave gespickt ist; über diese ganz besonders, denn sie heißt Newberry Springs und ist Heimat des legendären Bagdad Café.

Ausgerechnet ein Deutscher, den hierzulande kein Mensch kannte, machte das kleine Wüstencafé zum Begriff. Regisseur Percy Adlon drehte mit Marianne Sägebrecht, der Afroamerikanerin CCH Pounder und dem Uralt-Hollywoodchargen Jack Palance mitten in der Mojave seine Vision zweier kollisionsbestimmter Welten, die der Vorsehung ein Schnippchen schlagen. Als „Out of Rosenheim“ wurde das Lichtspiel uraufgeführt, doch die Eleganz und Einfachheit des sprachlich neutralen „Bagdad Café“ überzeugte, also hieß der Streifen künftig nach seinem Handlungsort, und das war gut.

Weil das Eremitendorf Bagdad schon lange bis auf ein Ortsschild zu Wüstenstaub zerfallen war, machte Regisseur Adlon kurzerhand das Sidewinder Café im benachbarten Newberry Springs zum bis dahin imaginären Bagdad Café. Und weil es entgegen landläufiger Meinung auch außerhalb Kaliforniens eine Welt gibt, kommt die seither in die Einöde, um das Café aus dem Kultfilm zu erleben. Daß der Filmname blieb, daß aus dem Sidewinder das Bagdad wurde, versteht sich von selbst. The business of America is business – also wird selbst in der ausgedörrten Grenzenlosigkeit der Mojave um jeden Penny gerungen.

pjk_route66bagdadcaf_2Es ist eigentlich nichtssagend, das rote Rechteck mit dem alpin wirkenden spitzgiebeligen Dach. Außen wie innen fade – doch es gleicht dem Adlon-Werk darin, daß weder Landschaft noch Architektur die Hauptrolle spielen, sondern die Menschen, die sich im Café treffen, die Durchreisenden und diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer dort wohnen. Dort oder nebenan – es ist gleich, denn in diesem dahinsiechenden Straßendorf dreht sich wahrhaftig alles um das Bagdad Café. Chefin Andre, die sich den europäischen Besuchern zuliebe Andrea nennt, ist so eine Art blondierter Ortsmittelpunkt, ein amerikanischer mit langen Fingernägeln und einem fest eingebrannten Dauerlächeln, die auch den miesepetrigsten Gast „Honey“ nennt und „Sweetie“, Schatz und Liebling. Sie sammelt Filmmemorabilien – daß dieser kleine Streifen des German director gewaltige Wellen schlägt, merkt sie jeden Tag. „Von überallher kommen sie, aus Frankreich und Italien, und natürlich jede Menge Deutsche. Im Sommer wie im Winter – verdammt viel Urlaub müssen die in Europa haben, und einen Haufen Geld“ staunt die Wirtin und schenkt vom schwächlich-braunen Kaffee nach.

Der Herr am Nebenhocker nickt bestätigend. Seine weißen Locken wippen im Takt des schweren Kopfes, die schwieligen Hände umklammern den weißglasierten irdenen Kaffeebecher, und nach einer höflichen Pause rückt er näher. „Das beklagt ja meine Tante auch immer“ unterstreicht er Andres Worte, die sich, Augen gen Zimmerdecke rollend, durch die Schwingtür in die Küche verdrückt. „Aber das wissen Sie doch. Sie läßt übrigens schön grüßen. Und ich soll Ihnen ausrichten, daß Sie nach wie vor ihr zuverlässigster Mann in Europa sind. Ohne Sie wäre dort drüben jetzt der Teufel los – Tante Elizabeth vermutlich im Tower eingesperrt und die verdammten Kommunisten im Palast“. Der Angesprochene staunt, und langsam schleicht sich eine Ahnung ein. „Ihre Tante ist….?“ Der Weißhaarige blickt hurtig um sich, beugt sich herüber und macht mit spitzem Mund ein sch-Geräusch. Man nickt. Klar. Die Queen. HRH höchstselbst. Elizabeth von Gottes Gnaden. Also muß es sich bei diesem netten älteren Bürger, der wieder in seinem Kirschkuchen stochert, um den General Bob handeln. Gründer der CIA und Agentenführer par excellence. Liebhaber, Diplomat, britischer Hochadel. Den kennt man in der Wüste.

Bagdad Café - Peter J. Kraus & General Bob

Früher mal hieß er Robert Gray und war Soldat. Einer von der einfachen Sorte, einer, auf den zuerst geschossen wird. Er soll, erzählt man sich hier, als blutjunger Freiwilliger während des Zweiten Weltkrieges mitgeholfen haben, Flüchtlinge und Kundschafter aus dem nazidominierten Europa herauszuschleusen. Danach blieb er beim Militär, wegen der Pension und weil er zwischen Schulabschluß und Kriegsdienst weder Zeit noch Gelegenheit hatte, einen Zivilberuf zu erlernen. Die Jahre vergingen, die Karriere des Soldaten Gray erfuhr den bescheidenen Aufstieg, den die US Army zu Friedenszeiten demjenigen zubilligt, der sich ohne bescheinigte akademische Reife durchs Leben schlägt. Nach außen hin war er mit seinem Los wohl zufrieden, doch irgendwann tauchte aus den dunkelsten Verliesen seiner im Krieg dauerhaft geprägten Seele der General auf, machte sich in der Vorstellungswelt des nicht mehr jungen Mannes breit und übernahm das Kommando.

Nun ist er der General Bob, der alte Herr mit dem Einsteinkopf, der den Europaflüchtigen zu neuem Leben verhalf. Er wohnt ganz in der Nähe des Bagdad Café, in einem kleinen Holzhäuschen, für das die Rente gerade noch reicht. Seine Garderobe wählt er sorgfältig aus dem Fundus des örtlichen Thrift Store, des in jeder noch so kleinen Gemeinde anzutreffenden Second-Hand Ladens, durch dessen Betrieb sich die amerikanischen gemeinnützigen Vereine das nötige Kapital verschaffen. Uniformen gibt es da zu kaufen, Uniformen, durch die sich die Hamburgerbräter voneinander unterscheiden, die braunen von McDonald´s und die rot-weiß-blauen vom patriotischen Jack-in-the-Box. Sie sind alle schon bis zur Abnutzungsgrenze getragen, die Polyesterplünnen, aber der General kauft und trägt sie gern, weil er darin in der Menge aufgeht. Unauffällig sein, im Volk mitschwimmen, wie das der Erzfeind Mao einst seinen Jüngern anempfahl – selbst der Gründer der CIA und Neffe Ihrer Königlichen Hoheit lernt von der Konkurrenz, eignet sich noch das Beste aus den Verhaltensvorschriften des roten Beelzebub an.

pjk_route66bagdadcaf_3Stammgast ist er im Bagdad Café, der General Bob. Es ist sein Büro, sein Treff, denn jeder Gast aus Europa oder Japan, mit dem der General ein Gespräch beginnt, steht natürlich im Dienst der USA. Hier an der kurzen Theke kann man Geheimnachrichten austauschen und Anweisungen geben, kann sich gemeinsam auf die nächste Aufgabe, das kommende Abenteuer vorbereiten, und wenn der General abends heimgeht, dann tut er das im guten Gefühl, wieder einen Tag lang den Weltfrieden und somit den American Way of Life geschützt zu haben.

Andrea, die eigentlich Andre heißt und nach einer Karriere als Hollywoodagentin und Drehbuchautorin in die Wüste zog, hat sich an den General gewöhnt. Anfangs war´s nicht ganz einfach, meint sie, aber inzwischen kennt sie seine Eigenheiten, auch wenn ihr gelegentlich der Gaul durchgeht und sie ihn dann einen crazy old man schimpft. Aber Bob weiß, daß sie´s nicht so meint. Denn auch für Andre gibt´s nicht nur Sonnenschein. Sie steht tagein, tagaus im Café hinterm Tresen, kümmert sich um jeden Dreck und muß dazu immer guter Dinge sein, sonst bleiben die Leute weg. Das kann selbst einer starken Frau ans Leder gehen. Und wenn sie abends die sieben oder acht Meilen nach Hause fährt, auf ihre Ranch, die einige Quadratkilometer sandiges, steiniges Kalifornien umfaßt, dann warten ihre fünfzig Straußenvögel auf die Abendfütterung; fünfzig riesige, hungrige Laufvögel, die ja eigentlich schon längst zu fettarmem Hackfleisch, cholesterinfreiem Filet und grobporigen Lederhandtaschen verarbeitet sein sollten. Aber Andre hat einen solchen Narren an ihrer Investition gefressen, daß die dämlich glotzenden Straußen ihren betrüblichen Nutzviehstatus gegen den wesentlich angenehmeren des Haustieres eintauschten. Nun traben sie den ganzen Tag über Andres staubige Prärie, scheißen nutzlos in den Sand und können nicht einmal ihr eigenes Futter suchen.

Doch sie ist zufrieden, die Chefin. Ihr Café läuft dank seines Filmruhmes recht gut. Sechzig Prozent ihrer Gäste, meint sie, kommen aus Übersee – Route 66-Touristen, die auf ihrer Reise ans pazifische Ende Amerikas die Sehenswürdigkeit Bagdad Café abhaken. Gästebücher hält die Andre/Andrea für ihre ausländische Kundschaft parat – dreihundertseitige, und sieben Folianten sind schon vielsprachig vollgeschrieben. Auch im Internet hat sie sich etabliert für diejenigen, die sich nicht trennen können, und kürzlich wurde auf ihrem Wüstengelände eine artesische Quelle entdeckt. Klar, daß die Bagdadbossin das Wüstenwasser auf Flaschen ziehen läßt. Sogar bis nach Europa will sie´s verkaufen, mit dem dort hoffentlich umsatzträchtigen Namen ihres Bagdad Café.

pjk_route66bagdadcaf_1Ob Percy und Eleonore Adlon überhaupt wissen, was aus ihrer südkalifornischen Wüstenkulisse geworden ist? „Felix Adlon war mal hier“ erzählt Andrea, „der Sohn der beiden. Er wohnt in Hollywood, ist natürlich auch Regisseur, und war vom Café so begeistert, daß er gleich seine Eltern in Deutschland anrief und ihnen brühwarm berichtete, was hier so vor sich geht.“ Daß Andreas Hamburger nach den kultgewordenen Filmfiguren heißen – der „Jack Palance“ ist ein recht dürrer, mit Speck garniert, der „CCH Pounderburger“ voller Saft und Kraft und der „Marianneburger“ bringt natürlich die doppelte Fleischportion auf die Waage – ,daß immer irgendein Filmfan von irgendwoher in der Bude im brütendheißen Niemandsland sitzt, und daß sich die Andrea mit ihrer ganz eigenen Gastlichkeit als ideale Verkörperung der gewachsenen, gewandelten Zelluloidfigur CCH Pounders erweist.

Denn das Leben spiegelt auf seltsame Weise den Film. Trotz der Trostlosigkeit der Mojave, der Abgeschiedenheit und der ständigen Bullenhitze sind die Menschen vom Bagdad Café recht glücklich. Andre/Andrea betrachtet ihr Stückchen Mojave als Belohnung für ein hektisches Arbeitsleben im Moloch Los Angeles, ihre Mitwirkung im täglich neu ablaufenden Realitystreifen Bagdad Café als Fortsetzung ihrer Hollywoodarbeit. Sie hat nun mal ihren Geschäftssinn, also wird sie auch immer etwas anbieten, ohne das die Welt nicht leben kann. Und wenn einer abgebrannt daherkommt, dann weist sie ihn auch nicht ab. Einen Kaffee und ein Stückchen Cherry Pie hat Andre immer übrig – und selbst der fußlahmste Wüstenwanderer heißt bei ihr noch Schätzchen.

General Bob gehört zum Inventar der Wüstenkneipe, ein rundlicher Jack Palance, der mit roter Hamburgerbräteruniform und blauer Plastikhandtasche getarnt am kleinbürgerlichen Leben Newberry Springs´ teilnimmt. Doch Haltung und Ausstrahlung strafen der äußeren Erscheinung Lügen; nicht ein etwas hilfloser Alter schlurft da zur benachbarten zerfallenden Tankstelle, sucht im Schatten der ausladenden Tanksäulenüberdachung vor der erbarmungslosen Mittagssonne Schutz, sondern ein Herr, einer von der alten Sorte. Jemand, dessen Wort etwas gilt. Ein Gentleman in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes – ein sanfter, ein gütiger, ein liebenswürdiger Herr. Gäbe es doch nur mehr Generäle seiner Art.

Wo endet der Traum, beginnt das Leben?

 



Was von Peter J. Kraus lesen:

Peter J. Kraus

schreibt Romane. Das war allerdings nicht immer so. Angefangen hat´s mit Einzelbuchstaben. So um 1944 herum. Da war er gerade mal drei, die Tausendjährigen waren schon beim elften Zwölftel angelangt, von Adersheim aus sah man an einem Herbstabend Braunschweig brennen und er wunderte sich, ob das normal sei. Letzter Krimi: Joint Adventure

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