Bettgeschichten

matraze_350x250Sie liegt rücklings auf mir und stöhnt. Ich spüre ihre junge, weiche Haut, die sich auf ihren Engelsflügelchen wegen des Sonnenbrands abschält, spüre das lange, über mich hingebreitete, gelockte Haar und die Kuhle ihres Rückgrats, die rauhe Hornhaut an ihren Füßen, die sich in mich stemmen, ich spüre die Rundung ihres kleinen Hinterns schwer auf mich drücken. Ihr Unterleib bewegt sich immer schneller auf mir und plötzlich flucht sie: „Diese Scheißmatratze, es quietscht bei jeder Bewegung, das macht mehr Lärm als ich!“ Dann lacht sie auch noch. Ich aber finde das nicht komisch.

Ich bin eine französische Federkern-Matratze, zehn Zentimeter dick, zwei Meter lang und einen Meter zwanzig breit, breit genug für zwei, die sich lieben oder besser: frisch verliebt haben. Seit fünfzig Jahren bin ich in diesem Hotelzimmer, ich habe Qualität. Ich muss mich jetzt beschimpfen lassen? Das Quietschen der Federn spricht nur für mich, es zeichnet mich aus als treu und ergeben. Ich stehe stets zur Verfügung, wenn jemand mich braucht, ich scheue keine Beschwerlichkeiten. Ich bin eine leidenschaftliche Matratze, ich könnte die Menschen hassen, aber ich liebe sie, sie sind alles, was ich habe. Ich liebe die, die auf mir leben, ich will sie fühlen und hören, ich mag es, wenn sie mich benutzen und beschmutzen, das ist mein Zweck. Ich liebe die Tragödien, die auf mir vonstatten gehen, ich liebe Ehebrüche und Entjungferungen, ich liebe das erste Mal und das letzte Mal, auch nach der Trennung, ich liebe den Schlaf, den bewegungslos erschöpften und den unruhigen, das Wachliegen und Hin-und-Her-Wälzen und ich liebe das Glück, das sich auf mir vollzieht, immer wieder.

Ich bin imprägniert von Schweiß und Blut, besudelt von Sperma und süß-saurer Frauenflüssigkeit, mit Speichel und Tränen und mit Urin und Rotwein und Kaffee, beschmutzt von den Menschen, die sich auf mir ausruhten, amüsierten, stärkten, betranken, rauchten, feierten oder trauerten. All das ist tief in mich eingedrungen. Mein blaues Blumenmuster ist verblasst, ich bin befleckt in unzähligen Farben, von verglimmenden Kippen durchlöchert, von Fingernägeln sprödgerissen, selbst gebissen wurde ich ab und an, aber auch geküsst vor Erwartung und vor Sehnsucht im Unglück.

Das Leben hat Spuren hinterlassen auf mir, ich bin nicht mehr makellos und nicht mehr schön anzuschauen und die dünnen Leintücher haben meine Fehler nur unzureichend bedeckt. Deshalb haben sie mir eines Tages einen Überzug verpasst, der die Befleckungen verstecken soll, mich auf allen Seiten fest umschließt und sich nach Plastik anfühlt. Ich erinnere mich an das Ruckeln des Reißverschlusses, es wurde immer enger und beengender und jedes Geräusch leiser. Wenn niemand im Zimmer ist, dann bin ich jetzt tatsächlich ganz alleine und langweile mich, ferne Geräusche dringen nicht mehr zu mir. Seitdem sie mich verpackten, schwitze ich, wenn die Sonne auf mich scheint, so wie heute. Ich spüre nicht mehr jeden sanften Windhauch, nur noch den Herbststurm, wenn jemand das Fenster geöffnet lässt. Der Vogelsang, das Rufen der Schwalben und Gurren der Tauben, das liebestrunkene Vibrieren der Luft und die Akkordeonklänge der Straße dringen kaum noch zu mir. Die Gespräche der Menschen muss ich erraten, wenn sie nicht direkt an mich, in mich sprechen, auf mir ruhend.

Das Zimmer, mein Zimmer ist klein, sehr klein, ich an Stelle der Menschen würde mich beschweren, aber die meisten, die hierher kommen, sind noch so jung, dass sie gar nicht wissen, wie das geht, nicht auf die Idee verfallen, es sei überhaupt möglich. Das macht sie angenehm. Oft ist es ihre erste Reise, ihre erste fremde Stadt gemeinsam mit ihrem Geliebten. Das Zimmer ist so eng, dass die Besucher nicht wissen, wo sie ihre Koffer abstellen, nicht wissen, wo sie überhaupt stehen sollen, man kann nicht einen Bogen schlagen um mich, man fällt geradezu auf mich, sobald man eintritt.

Ich mag das. Dann spüre ich ihre Körper, dann kann ich ihren Gesprächen lauschen, wenn sie mir nah sind, auf mir liegen, dann genieße ich. Vielen Gästen gefällt das auch und ich wundere mich dennoch ein wenig, wie oft sie wiederkehren im Laufe des Tages, wie kurz ihre Ausflüge sind, wie wenig Zeit sie in den Straßen dieser sogenannten Stadt der Liebe verbringen und statt dessen auf mir: mit Liebe. Gerade die Unumgänglichkeit des Niederfallens auf mich, die Unmöglichkeit eines anderen Tuns in diesem Zimmer scheint verlockend zu wirken. Das erfreut mich, jedes Mal.

Auch das junge Paar, das erst gestern hier angekommen ist, für das es noch viel zu entdecken gäbe dort draußen, auch sie sind heute bereits zum vierten Mal hier. Heute morgen leise, im Halbschlaf, mehr ein Schieben als Bewegen, heute Mittag nach dem mit Käse belegten Baguette, dessen Krümel auf mich niederregneten, nach dem Rotwein, laut und lachend, heute Nachmittag zärtlich und schläfrig vor einer kurzen Siesta und jetzt nur sie allein auf mir, das Becken kreisend, während er danebensteht.

„So geht das nicht!“, sagt sie. „Ach so, Du vertraust mir also nicht!“, er lässt sich neben ihr auf mich fallen, auch er jung, schlank, sein Körper fester als ihrer, sein kurzes Haar kitzelt mich. Er meint es nicht ernst, er ist sich ihrer so gewiss. „Doch,“ lacht sie, „ich vertraue nur der Matratze nicht.“ Ich will empört sein, bin aber schon viel zu beschäftigt mit dem Gerangel, das da entsteht, dem Armgewirr und Beinverknoten, dem lauten, schmatzenden Küssen und leisen Kichern, seinem neckenden Prusten auf ihrem Bauch, ihren flink-kitzelnden Händen an seinen Rippen. Dann wird es ruhiger, aber die Verknotungen lockern sich nicht.

Ihre Unterhaltung gleicht jetzt einem Gurren, er spricht mit den Lippen nah an ihrem Hals und sie lacht leise und hell, ihr Glucksen bringt mich zum Beben. „Du, Du,“ flüstert er und sein Mund wandert, er haucht es ihr in die Haut, „Du, Du…“ wiederholt er immer wieder überall in ihren Körper. Ihr Leib vibriert auf mir, aber nicht mehr vor Lachen. „Duuuuu…“, raunt er lange in ihren Schoß. Wie glücklich die beiden sind. Doch dann steht er ganz plötzlich auf. „Was tust Du“, sagt sie kichernd, „Du brauchst nicht vor mir niederzuknien, ich bin eine emanzipierte Frau!“, reicht ihm ihre Hand hinunter und zieht ihn wieder auf mich. Sie sitzt jetzt und dann spüre ich, wie seine Knie sich ihr gegenüber in mich bohren, die beiden scheinen sich an den Händen zu halten. Und es wird ganz still.

„Für immer?“ Er schluckt an seinem Speichel. Ein Zittern läuft durch mich, als sie „Ja“ wispert. Ich würde weinen, wenn ich könnte. Die in mir bewahrte Feuchtigkeit sammelt sich als Kondenswasser an meiner Plastikhülle und ich erwarte ein Erdbeben.

Das Beben wird lang, sanft und für die Ewigkeit, ich höre ihre Münder unaufhörlich aufeinander ruhen, ihre jungen Körper lasten auf mir wie ein einziger und einige Tropfen fallen auf mich. Dann höre ich die junge Frau telefonieren, mit der Rezeption. Was ich kosten würde, fragt sie, ob sie mich mitnehmen kann, nach Hause. Vollkommenes Glück.

8. Dezember 2007

Kaya Presser

Die Sprachspielerin beschäftigt sich mit Literatur sowohl wissenschaftlich als auch leidenschaftlich, ist Münchnerin, kann sich aber zwischen Frankreich und Italien nicht entscheiden, denn beide waren für sie entscheidend. Den da- und woandersher rührenden Trennungsschmerz versucht sie schreibend zu bewältigen und hat deshalb auch ein Blog auf www.sprachspielerin.de

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