Im Spiegel

An Tagen wie diesen, an denen man leicht von der eigenen Minderwertigkeit umspielt wird – vielleicht nicht mal eine, die dir zeigen will, dass Jemand oder Etwas höher ist als das Du (Ich), in dem man sich nur gefangen sehen kann, aber nie ausbrechen will, in einem Schwindel der Freiheit, dem man sich immer ausgesetzt fühlt, aber nie erliegt, eingeschweißt in die eigene Pathologie, sondern gar eine, die jede Zuschreibung eines Sinnes im vielleicht dem Menschen in dieser Zeit eigenen ewiglichen Herumtraben und Einstampfen von papierischen Numerologien, Gratiscoupons, Altmetall von Feuerzeugsteinen und Postkastenständern und Rückspiegeln, Reue, Lippenstifthaltern, alten Büchern, neuen Büchern, Glas und Vorurteilen, dem Einstampfen des Ichs (Dus) quer hindurch verbietet, ins Absurde führt, das uns ganz alleine einmullt, nicht wie einen Kranken, sondern wie einen völlig krank werdenden, unrettbaren Retten-Müsser – man denkt jedenfalls, dass man sich retten müsse – kommt man sich von dieser nur geweckt vor, nur gekniffen, aber man könnte ebenso an diesem Kniff verbluten, weil sie so mordlustig und bösartig ist und mit ihrem Gesicht aus tausend Gesichtern von vor zwei Minuten und vor ein paar Jahren, von Gesprochenem und Gesehenem tollwütig in das eigene lacht.

Gibt es für dich daran einen Witz, spricht er sich wohl nur als der, dass an diesen Tagen die einzigen Schwächen, und das als solche, die größten Pranken haben und das Stärkste in dir sind, als Ausspruch der unveränderlich ist – wenn dir Lacan fest ins Ohr beißt weißt du, wie tief sich der Gott den es gibt weil er in deinen Gedanken und auch außerhalb ist oder vielleicht auch nicht in die Faust lacht. Selig sind, die Leid tragen. Aber du trägst es nicht, du versprachlichst Gemeinheiten, Absonderlichkeiten, reibst sie dir selbst in den Nacken und kannst auch nur von dir selbst sprechen, weil das die einzige Wissenschaft ist, in der du studiert bist, du träumst von aufgeschnittenen Stallhengsten und Poolanlagen mit goldbrüstigen Mädchen und von Kokain im nächtlichen violetten Tokio, weil es dich eben gibt weil du in deinen Gedanken und auch außerhalb bist oder vielleicht nicht … in die Faust lacht.

Und das machst du ständig, nicht nur als Mittel, derer gibt es mehr irgendeinen Gott zu verleugnen und die Welt zu schultern als es dann möglich wäre, etwas anderes über das Faustlachen zu sagen als dass es profan und unzeitgemäß und langweilig ist, wenn man nämlich am Galgen baumelt muss man lachen und es liegt mehr Romantik darin als in fast allem Anderen, nur mit einem blauen Auge lässt es sich leben, und meistens nicht ein mal dann.

Wenn er in den Spiegel schaut… schreibt Jotie T’Hooft Neunzehnhundertachtundsiebzig und schon in der nächsten Schrift kapituliert er vor seinen Heroinwehen. Wenn ich in den Spiegel schaue erkennt mich eine Nase mit großen Schlöten wieder, wie von einem Schwein, sie schauen mich mit runden schwarzen Augen an. Weiterhin gibt es da ein ausdrucksloses Grinsen, mit einem schmalen Kiefer mit recht geraden Zähnen und äffischen, spitzen Eckhauern, festen Backen und geröteten Jochbeinen. Dreckigblonde Haare von strohiger Konsistenz über polarblauen Augen. Ich erkenne darin keine Schönheit oder ein Konzept. Es ist wohl neutral. Vielleicht ein wenig unbedarft, mit einem bösartigen Einschlag.

An solchen Tagen sehe ich in den Spiegel und suche meinen Hals ab nach dem Käfer mit den großen harten Säbelzangen, den man Weltschmerz nennen mag, wenn man an meinem Tag mit schnauzbärtischem Pathos aufgewacht ist, von Zeit zu Zeit lässt er die Luft aus meinen Venen, und dann zischelt eine Stimme wie aus einem grobporigen Fahrradschlauch: »Siehst du, das passiert, wenn man zu viele Fragen stellt!«

Dann muss ich zusehen, wie sich mein Genick langsam zusammenfaltet, mein Schädel verwelkt und erst wenn alle Luft raus ist, kann ich wieder anfangen zu atmen. Dann liege ich in meinem Bettgestell oder in einem Busbahnhof oder in meiner Armbeuge und sobald wieder Luft an das Hirn unter den unkämmbaren Haaren kommt, durchfahren mich zur selben Zeit all die lächerlichen Angelegenheiten, um die ich mich sonst nie kümmere, als ob etwas in mir aufwacht und mir vorwirft, dass ich andere Schmerzen als die der vielen, gemeinen Kleinigkeiten gar nicht zu tragen hätte, dass keine der großen, schweren Warums mein Geschäft wäre – und das sind sie wohl auch keinesfalls – aber ein Vertrag, der nie unterschrieben wurde und nie unterschrieben hätte werden sollen, lässt sich nicht abändern. Wie lange komme ich noch mit all dem Gift davon, das ich so begeistert in mich reinschlucke und reinatme? Ist es die Einsamkeit, die ich brauche, oder ist sie mein ärgster Feind mein liebster Feind mein verhasster Freund? War ich schon mal vollkommen, ohne es zu bemerken? Diese Fragen würde ich noch mit Sicherheit beantworten können, Stück für Stück. Aber nicht heute, und sie waren nie lächerlich, nur lächerlich einfach zu beantworten. Veränderung ist mir schwer zu akzeptieren, sie bedeutet dir, dass du noch nicht abgeschlossen warst.

Wie kann man nur so verbittert sein, so skeptisch und in einer eisigen Rille festgefahren, und das vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag, voller energiesaugender Zecken im Kopf.

Einbildung, Fantasie, Rausch?

Mit verkohltem Schädel hört das Ich (Du) irgendwann immer wieder auf, sich Sorgen zu machen, sich zu fürchten, sich zu ekeln. Wenn es etwas schönes vernimmt, einen Schutthaufen im süffigen Morgenwind erklimmt, eine Flasche Augustiner und ein Bündel Telefonkabel zwischen den Fingern, in ein Handtuch vergraben die eigene Nase in der Adriasonne beobachtet, eine Rechte in den Magen geschoben bekommt und dabei lachen muss, wenn plötzlich die Sonne ihre Arme durch die Wolken plumpsen lässt und sie dir das Gesicht warm verpacken, wenn ein Mädchen auftaucht, aus dem nichts und doch lang herbeigesehnt, das die Tage plötzlich anders macht. Wenn du mit Sartre zusammen vor Streifenpolizisten flüchtest. Wenn die Welt kurz aufplatzt und dich unter ihren Rock sehen lässt, noch hinter der Naht, wenn du auf ein mal ganz klar die Fäden zählen kannst.

An jenen und an diesen Tagen, das heißt fast immer, bin ich doch um eines reich und frei von so manchen Unterwerfungen und vom Bereuhen und von den Stirnschmerzen die hier säuberlich in grellfarbene Rucksäcke und Reisekoffer und Mänteltaschen gebettet sind. Ich sage »Ja« und »Nein« zum Leben, aber niemals: »Vielleicht«

Das mag die einzige Kunst sein, die ich je gelernt habe und lernen musste, als wohlbehüteter, aber immer gefährdeter und gefährlicher Prototyp und unreifer Steinewerfer unter den Kindern des ausgehenden Jahrtausends, unter den Geburten aus dem Kalten Krieg und dem Mauerfall heraus. Keinesfalls macht mich das, als Tugend die nur aus der Not entsteht zu etwas Besonderen oder auch nur Alleinigem, bleibe ich doch immer ein Exemplar unter Exemplaren, ein lädiertes, hinkendes zwar, aber weder ein schnelleres noch ein langsameres, wenn die Tüpfelhyänen die Hälse nach Kranken recken. In meiner Sonnenbrille und der unauffälligen nächtlichen Garderobe scheine ich doch gut verpackt und kerngesund. Das beeindruckt bestenfalls mich, aber das und mein Restgenießen in absonderlichen Momenten, in kleinen Altstadtkinos und über Buchbäuchen und an Theken mit Bierflaschen wie Pilze in den bayrischen Wäldern, immer um einen Stamm versammelt, und einer davon anstimmt »Ich trinke um zu vergessen dass ich trinke«, in Gedanken an Reisen in südliche Länder im Sommer und dem Nehmen und Geben mit meiner geliebten, durchtriebenen Frau lässt mich heute weiter Gipfel bejubeln und in Tälern lachen.

 



Bücher von Johannes Fightestörk:


Sinthom

Fightestörk

Toxikophiler. Bedroht Leute mit Waffenzeitschriften und stochert seine Beine in die Welt, bis ihm die Sohlen platzen. Lebt am rotäugigen Abgrund und fährt meistens zu schnell. Träumt tagsüber von Sintfluten, nachts trinkt er. WWW: sneakblog.de und facebook.com/Fightestoerk

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