Sex kann göttlich sein

Hier wird mich bestimmt keiner so schnell finden, in diesem schäbigen 8 qm-Zimmer, weit weg vom Irgendwo, nah genug am Nirgendwo.
Es kommt mir vor wie das Nirwana, ein Teufelsplatz für die Abtrünnigen, für das Strandgut der europäischen Kultur, die sich etablierte Absteigen nicht leisten können oder wollen, in das ich aus bestimmten Gründen, hineingestoßen wurde. Hier wohne ich Wand an Wand mit einem neuzeitlichen Jesus Christus, einem Touristen aus Texas, und schräg gegenüber haust eine Nutte aus New Jersey.

Seit ich sie vor zwei Stunden das erste Mal gesehen habe, bemühe ich mich verzweifelt, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich drehe mein Transistorradio auf, klappere mit der Tür, indem ich alle 15 Minuten auf Klo im Flur gehe, und führe interessante Selbstgespräche. Der Jesus-Freak ballert von rechts seine Bibel gegen die Wand, und von links macht sich der Tourist entsprechend bemerkbar.

Schräg gegenüber bleibt es ruhig.

Nach mehreren Dosen Bier erinnere ich mich an den Grund meines Daseins, und daß ich hier bin, um mich vor denen dort, die mein Geld und meine Seele wollen, zu verstecken.

Am nächsten Morgen finde ich 2 Zettel an der Tür.

Auf dem einen steht:
„Jesus liebt dich.“

Und auf dem anderen:
„Jessica liebt dich für 70 Dollar.“

Hartmut Malorny

absolviert 1974 den Hauptschulabschluss cum laude. Stationen: Verkäufer, Vertreter, Gleisbau, Hilfsarbeiter, Faktotum, Arbeitslosengeldempfänger, Bundesbahn, Auslandsaufenthalte in Frankreich, Italien, Südostasien. Ledig, verheiratet, geschieden, Vater mehrerer Kinder. Verfasst Gedichte, Geschichten, Romane und Artikel. Trinker mit den üblich kontroversen Meinungen. Einige Lesungen. Zur Zeit Sonderreiniger.

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