Dynamik einer Meinung
Eine Menschentraube versammelt sich. Frauen, Männer, jung, alt.
Keiner kennt einander, niemand steht in Gruppen, jeder für sich.
Allein in einer Menge unbekannter Gesichter. Fragende Blicke tauschen sich aus, doch reden will niemand; aus Vorsicht und Angst, etwas Falsches zu tun. Die Welt hat sich verändert durch diese bedachten Schritte. Erst denken, dann handeln, heißt es. Und doch gefriert dadurch eine Masse zu Eis. Denn sie denkt zu viel, denkt, was falsch ist, was richtig und bewegt sich nicht mehr vom Fleck.
In Lautsprechern ertönt ein Knistern, das die Aufmerksamkeit der Menge gewinnt. Aus dem Knistern wird rascheln und man hört eine kühle Männerstimme.
„Alle Heterosexuellen mögen die Hand heben!“
Verwundert schauen sich Frau und Mann, Jung und Alt um, zucken die Schultern oder ziehen Augenbrauen nach oben, Mundwinkel nach unten. Sekundenlang regt sich nichts, bis einer bedacht die Hand gen Himmel streckt. Andre fühlen sich ermutigt und folgen dem ersten.
Nach und nach sieht man mehr und mehr erhobene Hände, nicht alle, denn nicht alle fühlen sich angesprochen. Die Menge scheint durch das Bekennen zusammenzuwachsen, man lächelt sich an, egal ob mit erhobenen oder gesenktem Arm. Sie merken ihr Handeln, wissen dennoch nicht, was ihr Handeln in Gang setzt. Die Verwunderung steht noch zwischen ihnen. Die Lautsprecher knistern erneut.
Dann wird geschossen. Doch nicht mit Worten. Ein Mensch in der Menge wird getroffen. Er hat den Arm gehoben gehabt.