Ein Käfig voller Nazis
Auf dem Weg in den Keller fällt mein Blick zum Flurfenster hinaus: Opa Naseweiß braucht Stunden, um auf seinem Balkon aufzuräumen. Mir wird heiß und kalt, wenn ich an das dicke Ende denke, schließlich bin ich auch nicht mehr der Jüngste, mittlerweile bin ich der Gesichtsälteste weit und breit …
Der Keller wird aber auch immer feuchter! Eine Tropfsteinhöhle. Auch heute nehme ich die Eisenstange zur Hand, die wie ein Hund auf mich wartet, und ziehe sie die Gitterstäbe in meinem Verschlag entlang. Dann rufe ich wie immer: „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ Aus dem dunklen Hintergrund schallt ein mehrstimmiges, aber müdes: „Niemand.“ „Und wenn er kommt?“, frage ich. „Dann schießen wir.“ Ja, so mag ich meine Nazis, die sich nach und nach ans Licht gewöhnen, die sich den Schlaf aus den Augen reiben und einer nach dem andern ans Gitter herantreten. Dann greife ich einen Knochen, ein Stück rohes Fleisch aus meinem Eimer und werfe es den Bestien zu, die sich darum balgen. Während der Fütterung um Mitternacht geht es freilich etwas lebhafter zu, denn dann lasse ich die Tiere in Polen einmarschieren. Eine Freude, die sich nicht abnutzt, bei der alle mit vollem Fanatismus bei der Sache sind …
Ich lege Streicher und Rosenberg an die Leine und gehe mit ihnen Gassi. Streicher ist ein ausgesprochener Kleintierfreund und Menschenhasser, eingesperrt in einem Kebab-Körper; Rosenberg ist ein auf den Hund gekommener Säufer. Beide eint ein sexualfixiertes Denken, Deuten und Handeln. Das gilt übrigens für sehr, sehr viele Nazis, so dass ich geneigt bin, von einem regelrechten Rassemerkmal zu sprechen: Wenn Nazis denn schon einmal denken, dann tun sie das mit ihren Hämorrhoiden, mit ihren dicken Eiern …
Auf der Laienbühne in der Menschenschlächterstraße (nomen est omen) lasse ich Streicher und Rosenberg ein Stück aufführen über zwei Nazis, die sich über die Verrohung der Sitten beklagen. „Deutsche und Humor?“, werden Sie sagen, „Das wäre ja was ganz Neues.“ Meine Nazis jedenfalls sind ein Publikumsmagnet, nachdem sie sogar einmal mit beiden Beinen in der Zeitung gestanden haben. Aber auch die anderen Bestien machen sich bezahlt: als Aushilfs-Hooligans und Hilfssheriffs, als Gefängnisschergen und Saalschützer, als Wachhunde mit menschenähnlichen Zügen … Mein Naziverleih en gros et en détail gleicht einer Goldgrube, seit der Verfassungsschutz zu meiner Stammkundschaft zählt. Mein bestes Pferd im Stall ist Unser Doktor, ein kleiner verwachsener Wicht, der sich als Parteiredner auszeichnet, wobei es ihm egal ist, welcher politischen Farbe er sein Wort leiht, wenn er nur sein Gift verspritzen kann. Der Gerechtigkeit sei der Hinweis geschuldet, dass unser Doktor auf Veranstaltungen der radikalen Rechten zur Höchstform aufläuft.
Um der Nachfrage meiner Kunden zu genügen, gilt es, ständig Personal aufzustocken. Aber das ist kein Problem. Nazis kosten nicht viel, denn in Deutschland gibt es sie wie Sand am Meer. Man verspricht ihnen das Braune vom Himmel, etwa einen Putsch, einen Weltkrieg oder einen Posten als KZ-Scherge, und schon fressen sie einem aus der Hand.
Auf dem Weg in den Keller fällt mein Blick zum Flurfenster hinaus: Opa Naseweiß räumt seinen Balkon immer noch auf und mir wird heiß und kalt, wenn ich an das dicke Ende denke …
Der Keller wird aber auch immer feuchter! Wenn ich meine Bestien gefüttert habe, frage ich sie, wer von ihnen der Hitler des Tages werden wolle. Dann erheben sich sämtliche Hände zum Deutschen Gruß, dann gibt es kein Halten mehr. Und dann nehme ich meinen Hitler des Tages aus dem Käfig, klebe ihm einen Quadratbart auf die Stirn, lege ihn an die Leine und gehe mit ihm Gassi. Heute hat der dicke Hermann das große Los gezogen. Mit Nachdruck kackt er vor die Haustür meines Nachbarn und knurrt, als dieser seine Kopfkloake aus dem Fenster streckt und meckert.
Auf dem Weg zum Park zahle ich die Tageseinnahmen in der Geldwaschanlage ein. Herr Dreieier, mein Geldwäscher, wartet mit guten Nachrichten auf: Seine Bank investiere in chinesische Zwangsarbeitslager. Der Dreieier strahlt wie ein Kronleuchter, während er mir von Auen der Ausbeutung vorschwärmt, von Rekordernten in den Weinbergen des Profits.
Im Park bricht ein Rudel Nordic Walker aus dem Dickicht hervor. Ich lasse den dicken Hermann von der Leine. Und während der sich austobt, während er lästigen Leuten das Laufen lehrt, muss ich über die notorische Schwäche meiner Landsleute für Diktatoren lächeln. Denn ich meine das Gesicht eines totgeglaubten Massenmörders aus dem Morgenland zu erkennen, das unrasierte Gesicht eines gestürzten Tyrannen am Fenster einer nahen Villa, der wie in Furcht vor dem Drohnentod die Wolkensteppe mustert.
Nun, es zählt nur eins: Ich muss meine Haut nicht zu Markte tragen, mein Kragen steht auch heute offen. Dennoch: Bevor ich mir beim Nasenbohren den Finger breche, gehe ich doch lieber in die Politik! Ich möchte so gern ein Abgeordneter sein, wenn ich nur an die Diäten denke … Ich möchte mit meinen Bestien die Macht ergreifen, mit dem dicken Hermann, mit Streicher und Rosenberg und mit unserm Doktor … Ich möchte dieser organisierten Barbarei, die der Volksmund als Zivilisation bezeichnet, meinen Stempel aufdrücken.