Augenblick

Wie die wohl leben? Ich weiß es nicht, könnte es mir aber vorstellen.

Könnten ein Haus haben, dort oben gelegen. Vom Hügel aus kann man ins Tal sehen, das in sich versunken ruht. Der Blick schweift, entrückt. Sitzt man dort oben an einem geöffneten Fenster, dann können die Gedanken schweifen, können fliehen. Könnten per Anhalter fliehen, mit dem Zug.

Die eine von ihnen, die ältere, trägt ihr Haar so wie die jüngere, die ihre Tochter ist. Sie laufen seit Jahren dieselben Wege, die sie längst auswendig kennen. Blind könnten sie werden und würden doch nach Hause finden.

AugenblickIm Gleichschritt marschieren sie, erinnern mich, der sie von hier oben auf dem Balkon, verschämt beobachtet, die Augen in Lauerstellung, um sich im Himmel zu verlieren, sollten sie plötzlich zu mir aufsehen, an eine Armee. Ein kleiner Trupp Soldaten sind sie, der sich durchs Leben, nie aber ins Gebüsch schlägt. Denn im Gebüsch, da sind sie sich gewiss, da wohnt der Teufel, der Mann, der sich an ihnen und ihren Leinenbeuteln, an den Blusen und den Röcken vergehen will.

In den Nächten, da träumen sie von den Gebüschen, aber nie würden sie darüber reden, denn ihr Reden ist zum Schweigen da. So verschweigen sie sich die Lüste, ihre Brüste, die Schenkel, die heimlich nur gespreizt, sich sehnen. Wonach? Das wissen sie wohl, ich weiß es auch, aber ich spreche nicht darüber, weil jedes unachtsam gehauchte Wort sie aufschrecken könnte. Wie Hühner würden sie von dannen stürzen, den Hügel hinauf, hin zu ihrem Haus, das hinter Hecken liegt, nicht aber hinter Gebüschen.

Sind sie erst am Zufluchtsort angekommen, dann werden sie verschnaufen, heimlich nur, denn das Leben soll in diesem Verbund leicht wirken, auf sie wie auf andere. Sie werden sich anlächeln, die Mutter wird den Kaffee aufsetzen, die Tochter einen Hut, den sie unlängst bei einem Abenteuerausflug in der Stadt erwarb.

Mit dem Hut wird sie sich zur Mutter hinab begeben, sie umschweben und sie bitten, sie möge mit ihr tanzen. Das Radio wird eingeschaltet werden, damit ein Schlager die Zeit totschlägt.

So könnte es sein, es könnte aber auch ganz anders sein. Nur noch wenige Meter, dann sind sie meinem Blickfeld entschwunden, das ich dann mit neuen Bildern bestellen muss.




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Die Sorgen der Killer

Keine Spuren

Guido Rohm

1970 in Fulda geboren, wo er heute auch lebt und arbeitet. Kurzgeschichtenband 'Keine Spuren' (2009, Seeling Verlag), danach Romane 'Blut ist ein Fluss' (2010) und 'Blutschneise' (2011). Zuletzt 'Die Sorgen der Killer', eine Sammlung literarischer Crime-Stories (2012, Kulturmaschinen Verlag). Blog auf guidorohm.wordpress.com

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