Der Feind

‚Wer keine Feinde hat, hat keinen Charakter.‘
(S. Hussein)

Ich führte ein langweiliges Leben. Weil ich ein langweiliger Mensch war. Genau deswegen hatte mich auch meine Freundin verlassen. Aber erst die Geschichte von dem Mann, der alle Frauen kriegte, indem er ihnen launenhaft die Tür vor der Nase zuschlug oder sie mit Bier übergoss, öffnete mir die Augen. Ich musste widersprüchlicher werden, „kantiger“.

Als erstes änderte ich meine Frisur dahingehend. Dann erprobte ich das neue Ich an meiner Mutter. Ich besuchte sie und vergaß, mir die Schuhe auszuziehen. Sie sagte nichts dazu und kochte mein Lieblingsessen (Hefeklöße).

Der nächste Schritt war, kein Deo mehr zu benutzen. Der Effekt war enorm. In der Straßenbahn konnte ich mich irgendwo hinstellen und an einer der Schlaufen festhalten – beinah sofort wurde mir ein Platz angeboten.

Ich furzte immer hemmungsloser und zitierte Studien, die dieses Verhalten mit einer höheren Lebenserwartung in Zusammenhang brachten. Auch sah ich keinen Grund mehr, auf Arbeit Krawatte zu tragen. Zuerst hat es gar niemand bemerkt, nur dass ich irgendwie erholt aussah. Wie mein Wochenende war, fragten sie. Statt zu antworten nahm ich Anlauf wie zu einem Bowling-Wurf und schlug einer Kollegin auf den Hintern. Der Bereichsleiter gratulierte mir lachend.

Meine langweilige Ex-Freundin versuchte im gemeinsamen Freundeskreis, mich anzumachen (sie interessierte sich doch gar nicht für Tennis). Ich habe ihr mein Bier über den Kopf gegossen und war plötzlich der Partyknüller. Wir tanzten zu aktueller Musik. Wahllos verließ ich bei einigen Liedern die Tanzfläche zwischen Schrankwand und Glastisch. Immer teilten mindestens drei Leute meine Ablehnung. Ich begann vom Fernsehprogramm zu reden und von der Politik, welche Entertainer und Schauspieler ich nicht leiden konnte. Ich setzte Gerüchte über sie in die Welt. Es war erstaunlich, wie viele „es auch gelesen“ hatten. Kanzler verschiebt Autos nach Moldawien. Bayerns Ministerpräsident in SM-Club gesehen.

Ich prahlte öffentlich mit meinen Maßen als Mann und forderte andere zum Schwanzvergleich. Und ich konnte endlich meine analen Abenteuer mit 16jährigen Thaifrauen erzählen. Dann wurde mir klar, dass ich noch einen Tick brauchte. Ich entschied mich für das Tourette’s-Syndrom: spontanes, unkontrolliertes Fluchen. War das ein Spaß. Besonders in der Oper.

Aber es reichte mir nicht. Zwar wurde ich geliebt und gehasst: „Der traut sich was“, sagten sie, „Dem ist nichts peinlich“, „Ein Teufelskerl“. Wo ich hinkam, wurde über mich geredet, ich war in ihrer aller Köpfe. Ich erzählte Blondinenwitze, Judenwitze und rassistische Witze je nachdem, ob ich auf einem Feministenkongress, in einer Synagoge oder bei einem Gospelkonzert war. Doch fehlte mir noch ein Feind, einer der mir ebenbürtig ist.

Ich adoptierte einen jungen Ausländer. Er war ein 20jähriger Waisenjunge aus „Kabul“(?) und hieß „Aijumar“ oder so. Ich nannte ihn Eimer. Er konnte noch nicht mal sprechen (bis auf sein ausländisches Gestammel). So war es möglich, ihn ganz allein zu erziehen, zu dem Menschen, den ich benötigte.

Er lebte in meinem Arbeitszimmer (den privaten Schreibkram erledigte ich ja inzwischen auf Arbeit). Ich gab ihm Superman-Comics, eine Bibel und ein Wörterbuch, überdies jeden Tag zwei Mahlzeiten. Er lernte schnell und fing an, auf die Wände einzuboxen. Bald fand er heraus, wie man das Fenster öffnete. Glühend schrie er sein biblisches Superman-Pidgin auf die Straße hinunter.

Eines Tages war er entwischt. Ich nahm das Kruzifix und die Axt von der Wand und ging los, ihn zu verurteilen. Scharfschützen kamen mir zuvor. Tja. Aber ich bin auch so ganz glücklich. Ich bin wieder mit meiner Ex-Freundin zusammen und lasse mir jeden Tag etwas einfallen, wie ich sie fertig machen kann.

Mathias Burkert

schweigt sich über sich aus _|_ daher steht hier nur das eine: _|_ blindtext

Das könnte dich auch interessieren …