Muay Thai
Den großen Schweden mit dem Stiernacken nannten sie bone crasher, sein Gegner wurde little boy gerufen. Der Schwede war von kräftiger Statur, Tätowierungen am Bizeps – und zwar einmal ganz rum um den Oberarm, aber man munkelte, er würde auf der rechten Pobacke ein winziges Herzchen tragen. Little boy dagegen sah weniger furchteinflößend aus, zwar hatte er ein paar nette Tattoos auf der Brust, doch während der Schwede gut ins Halbschwergewicht passte, brachte der Thai lediglich 60 Kilogramm auf die Waage, was ihn bei offiziellen Kämpfen als Leichtgewicht ausgewiesen hätte. Nur, dies war kein offizieller Wettkampf, hier boxte man für ein Publikum, das von Muay Thai keine Ahnung hatte, das bis vormittags in den Betten lag, nachmittags am Strand, und abends etwas gegen die Langeweile tat.
Der Boxring war der Mittelpunkt einer überdachten Halle, ringsherum hatte man Tresen und Tische drapiert, an denen Nutten bedienten und Bier, Schnaps und sich selbst verkauften, während die Touristen zum Kurzweil auf die Boxer wetteten. Obwohl in Thailand beides verboten ist, nämlich die Prostitution und das Glücksspiel, florierte es prächtig. Darum baute der Veranstalter jeden Abend eine kleine Sensation ein, nach dem Motto, Thais gegen den Rest der Welt, und mal war es ein grimmiger Russe, ein überheblicher Amerikaner, ein knorriger Australier oder ein weltfremder Europäer. Allen Boxern war eines gemein: nur die Wettbörse zählte. Dort, wo es zu den Toiletten ging, war auch das Wettbüro, hier saß ein uralter Thai, der lokale Pate, er nahm Geld und verteilte kleine Zettel. Neben ihm stand ein uniformierter Leutnant, allerdings außer Dienst. Vor dem „Sensationskampf” beschwatzen die Nutten ihre Freier, deshalb sah man sie zuerst pinkeln, dann wetten. (Die Freier.) Muay Thai ist eine sehr traditionelle Kampfkunst, die man lange als Haudraufsportart betrachtet hat; erst seit 1995 existiert ein weltweiter Verband, und der machte diese Sportart übers Land hinaus salonfähig. Trotzdem standen sich nun bone crasher und little boy in einem verbandslosen Kampf gegenüber, sie wollten draufhauen, gewinnen und die Börse kassieren. Mit dem Geld konnten sie sich betrinken und amüsieren – und am nächsten Abend verlieren, damit der alltägliche Spannungsbogen nicht riss.
Der Schwede stellte sich in seiner Ecke zur Schau, er ignorierte little boy, der durch den Ring schritt, sich dauernd verbeugte und in der Ringmitte niederkniete. Der Trainer des Schweden gestikulierte, vermutlich gab er Tipps oder verhöhnte den Thai. Little boy ging in seine Ecke, und weil er keinen Hocker hatte, setzte er sich auf den Boden. Einen Trainer hatte er auch nicht, also guckte er ins Publikum. Er wusste, was die Leute dachten, Thai gegen Thai finden sie nicht so interessant, wenn nicht einer mindestens zweimal pro Runde zu Boden geht – aber ein Farang, der einen Thai verkloppt, das wollen sie sehen. Little boy sah eine Menge roter Köpfe auf schwitzenden Körpern, für ihn waren es ölige Fratzen, die Frauen beglotzten. Er hörte die Rufe an den Schweden, mach ihn fertig war noch der höflichste. Zwei seiner Kumpels, einer lädiert, der andere mit einem Drink in der Hand, winkten ihm zu. Gleich gehörten ihm die nächsten drei mal 2 Minuten, und die Pausen, falls man ihm vorher kein Eiswasser ins Gesicht schütten musste, damit er aufsteht. Es war heiß, trotz offener Bauweise und Ventilatoren an der Decke stand die Luft, und während den Touristen kühle Tücher gereicht wurden, schwitzte little boy vor sich hin. Noch schnarrte die Musik zum wai kru ram, der Begrüßungszeremonie, und der Schwede machte Nackenübungen und grinste. Zuerst musste der uralte Thai im Wettbüro alle Wetten angenommen haben, also schnarrte die Musik weiter. Endlich drückte der Ringrichter seinen Joint aus, stand auf und glitt durch die Seile. Er holte die Kämpfer zur Mitte, klopfte ihnen auf die Handschuhe, touch gloves, und wünschte einen fairen Kampf. Gong zur ersten Runde.
Little boy wusste, dass der Schwede sofort attackieren würde, 10 bis 15 Sekunden lang, und wenn er das überstehen würde, wären seine Chancen nicht schlecht. Genau darauf baute der Schwede. Keiner seiner Kämpfe ging in die zweite Runde: entweder landete er mit seiner brachialen Gewalt einen lucky punch, oder er bekam einen Gegentreffer, weil er bei seinen Aktionen offen wie ein Scheunentor war, außerdem beschränkte er sich auf seine Fäuste, seine kicks jedenfalls kamen nicht höher als über die Unterschenkel. Little boy behielt Recht, der Schwede haute gleich wild um sich. Little boy wich den Schlägen aus, er tänzelte um ihn herum, dann blieb der Schwede einfach stehen wie ein schwerfälliger Ochse. Das Publikum lachte, es rief bone crasher, töte ihn, schließlich wollte es keine Comedy, sondern einen blutigen Kampf. Little boy landete ein paar low kicks, knapp hintereinander, dann täuschte er eine Gerade und setzte einen high kick. Und der saß. Der Schwede kam aus dem Konzept, er schüttelte sich und versuchte es erneut. Bevor little boy überhaupt spüren konnte, dass er getroffen wurde, wusste er es, die Linke erwischte ihn und er hatte sie kommen sehen. Doch statt sofort umzufallen, reagierte sein Körper sozusagen vorausschauend, denn sein Gehirn gab bereits den Gegenschlag vor, und während er taumelte, traf er den Schweden mit einem backfist. Die Aufgabe des Ringrichters war simpel, sie diente in allem Tun nur der Unterhaltung. Außerdem war er Ringarzt, Ansager, Nummerngirl und Jury in Personalunion. Ob er eine Runde zwei oder zweieinhalb Minuten laufen ließ, ob er die Pausen verkürzte oder verlängerte, Hauptsache, er machte es spannend. Also hielt er es für spannend, die erste Runde genau dann zu beenden, als beide Kämpfer am Boden lagen. Angezählt wurde keiner. Das Publikum bestellte neue Drinks.
Der Trainer wedelte mit dem Handtuch, redete und klatschte dem Schweden Eiswasser ins Gesicht. Jemand aus dem Publikum brachte little boy eine pisswarme Flasche Wasser. Sein bester Kumpel hatte gestern verloren, kein Sensationskampf, lediglich die Folge des vorgestrigen Sieges und der anschließenden Feier. Ein typischer Kreislauf, man boxte aus zwingender Notwendigkeit, und nicht für den Ruhm. Anfangs wollte little boy das traditionelle muay thai buran lernen, aber nachdem er vor 20 Jahren in dieser Boxhölle gelandet war, wurde sein Stil unkonventionell, denn er trank, rauchte Marihuana und stand sechs Tage die Woche im Ring. Er hatte weder Angst vor dem Schweden noch vor einem Niederschlag. Alles hatte er schon zu oft gehabt. Immerhin, die Börse war erklecklich, davon könnte er einen Teil seiner Schulden bezahlen. Leider ging es dem Schweden nicht besser, auch der hatte Schulden, und zwar beim Hotel, beim Manager, beim Trainer. Die Musik stoppte, Runde 2.
Der Schwede war angeschlagen, er hatte eigentlich keine Lust mehr, aber sein Trainer schubste ihn vom Hocker. Eigentlich wollte er längst am Tresen sitzen, Sieg und Geld genießen und davon reden, wie man es bis nach Bangkok schafft. Nach dem Gong wurde es kaum ruhiger, es herrschte Jahrmarktsstimmung, denn nicht alle interessierten sich für einen Boxkampf, sie schwatzten und handelten lieber mit den Nutten. Der Schwede stellte sich hin und wartete, also wurde der Thai mutiger und platzierte einen high kick. Nachher witzelte little boy: Den hab ich gefällt, rums, wie eine schwedische Eiche. Tatsächlich ging der Schwede nur kurz auf die Knie, aber der Ringrichter unterbrach und zählte ihn an, und so nutzte er die Chance und tat, als habe er Nasenbluten. Als die ersten Gegenstände in den Ring prasselten, suchten beide das Weite, bone crasher und little boy, doch nur der Thai durfte zurück zum Tresen. Morgen wird es bestimmt anders sein.