Licensing Agent

in a world of brands

 Alarmsignal.

Ich seh‘ noch, wie das hologene 3D-Logo auf seinem T-Shirt klebt, kurz bevor es in NanosekundenschneIIe beginnt, seine Konturen zu verzerren und seine Spuren verwischen ins Nichts. Der rötliche Schimmer um den weißen Schriftzug flackert kurz auf wie bei einer defekten Lichtröhre, bloß um Zeitbruchteile später in der unendlichen Hintergrund-Schwärze des realen T-Shirts zu versinken:

Scheiß Schmarotzer.

Aber gerade hat ihm der Strahl des Gesetzes ’n verdammtes Loch in seine Arroganz gebohrt. Der hat wohl gedacht, mit ’nem geklauten Cola-Schriftzug in 3D lassen sich die Weiber hier unten besonders gut abschleppen … Aber die Tour hab ich ihm gründlich versaut. Jetzt steht er da wie ’n Exhibitionist ohne Weichteile und glotzt Löcher in die verblüfften Mädchengesichter um ihn herum. Wenn er ’ne Waffe zieht, muss ich ihn löschen …

„Hey, kannste bei meinem Logo nich ma ne Ausnahme machen? Morgen komm ich eh an Credits, dann ist alles wieder okay mit meinem Account und ruf doch mal deine Virtual Memory Card ab, du …“

Von wegen. Der steckt bis zum Hals in Credits, das kauft ihm doch keiner ab. Verdammt. Soll er schwarz sehen, bis sein Account wieder sauber ist, Scheißkerl. Gar nicht drauf hören. Ich leg‘ den ersten Gang rein, flieg weiter, hör noch seine Argumente in meinen Arsch kriechen …

„Ja ja, ich zahl dir deine gottverdammten Royalties, mach doch nich so ’n Umstand wegen dem beschissenen holografic problem, Alter ..“

Ich reih‘ mich wieder in den Verkehr ein und fahr’ einfach weiter. Mittelfinger bringen nichts bei den Typen.

On the road again.

Im Visual Sound Channel hinter meinem Lenkrad verrenken sich gerade ’n paar intergalaktische Kometenschweif-Surfer die Knochen, dazu spielen sie „Was ihr wollt“ von den Smashers. Geht echt in die Beine, das Zeug, obwohl’s ja schon ziemlich alt ist …

Ich flieg‘ bis zum Goethe-Schild, das schon seit ’n paar Jahrzehnten da hängt und Werbung macht für irgendso’n After Shave, das es wahrscheiidich gar nicht mehr zu kaufen gibt und nur noch aus Image-Gründen da in der Gegend rumhängt, was weiß ich – auf jeden Fall ist die Lizenz in Ordnung und ich muss rechts ab, auf den Highway.

Im Vorbeischweben seh‘ ich noch einen alten Bekannten: Stevie Notrix nennt er sich, hat seine Haare hochgestellt, Seiten abrasiert und aus dem voll Iizensierten Sound-Shirt dröhnen vergangene Melodien von Slime und den Sex Pistols in meine Richtung. Der Typ ist halt ’n echter Nostalgiker.

„Hey Agent, alles okay? Willste nich heute abend im „Anarchy UK“ mit deinem piekfeinen Alabaster-Schlitten mal aufkreuzen – denn heute ist mein erster Auftritt!

Er grinst mich fett und flashig an, als ob er sich was von den neuen, frisch lizensierten Mutter-Theresa-Pillen besorgt hätte, schraubt mit ungeheurem Taktgefühl weiter an dem glänzenden Stahlrundrohr, das den ganzen Highway erleuchtet und weiß ganz genau, dass ich mit meinem gestylten Privat-Glider niemals in seiner Anarcho-Spelunke aufkreuzen würde, hab ja auch keinen Grund: da ist alles zu 100 % lizensiert.

Zweites Alarmsignal.

Verdammt, ausgerechnet jetzt.

Ein knallroter Cursor blinkt irgendwo in der Navigationsleiste, das sind stark verkleinerte 3D-Hologramme, die sich bei der geringsten Berührung in ihre virtuellen Moleküle zerstreuen und meinen aktuellen Standpoint anzeigen.

Per Touchscreen bestimme ich meine Route quer durch den Dschungel aus Straßen, Highways, Fluglinien, Seitenstraßen … bis ich innerhalb weniger Standard-Zeiteinheiten am Ort des Verbrechens eintreffe.

Schäbige Wohngegend, Vorstadt-Ghetto, eintönige Fassaden: hinter der 5. Mülltonne hockt einer von diesen verlausten Sprayertypen und wartet auf sein Urteil.

So steht’s im Protokoll, das aber normalerweise viel schneller reagiert …

Und als ich mich umblicke, merke ich auch schon bald, was los ist: Der Typ hat doch tatsächlich die komplette Fassade des Buckingham Palace auf die schmierigen, verrußten Wände der ganzen verdammten Scheiß-Straße gesprayt!

Das gibt Ärger.

Verdammt – warum bin ich über so eine Scheiße nicht schon früher informiert worden? Das kann mich den Job kosten, verfluchte Scheiße …

Sorry, control system failed.

Ja, ja, fail dich selbst, du beschissener Apparat. Ich kann jetzt sehen, wie ich aus dem Mist rauskomme, oder hast du ’n besseren Einfall?

Keine Antwort.

Kurz noch mal checken, ob der Strahler richtig sitzt, dann gleitet die Tür zur Seite und ich marschiere direkt auf den verdammten Junkie und halt‘ ihm meine Laserkanone direkt in seine holografische Mozart-Fresse – ich wette, dafür hat er keine Lizenz.

Allein das wär‘ schon ein Grund, ihn mitzunehmen, aber ich hab‘ noch was vor mit dem Wichser.

„Hey, Arschloch! Was hast du dir dabei gedacht?“ scheiß ich ihn an. Dabei muss ich mich noch kräftig zurück halten, damit ich ihm nicht gleich hier und jetzt zur Begrüßung ein paar aufs Maul trete.

Der langhaarige, zottelige Typ stottert mit weit aufgerissenen Augen durch die Gegend, fängt an zu winseln – anscheinend weiß er, was für’n verdammten Mist er mit seinem verstrahlten Schädel gebaut hat: „B … b … bitte … A-a-agent …“ Die Nadel steckt noch in seinem Arm, das Blech mit dem Stoff liegt neben ihm und glüht wahrscheinlich noch von der Flamme des burning tools.

Was soll ich nur der Zentrale melden, verdammt? „Unidentifizierter Penner sprüht seine Junkie-Visionen an Ghetto-Fassaden im 5. Bezirk?“ Klingt mehr wie aus’m schlechten 3D-ThriIIer, auch wenn’s leider wahr ist – verdammt! Vielleicht ist dieser beschissene Bezirk sogar ’n drittklassiger 3D-Thriller und ich merk’s nicht mal, wie die Quoten sich über mich schräg lachen und die touch rates den TKP[1] in die Höhe treiben …

Die Zentrale meldet zwar, dass sie Bescheid weiß über den Ausfall des Kontrollsystems, aber trotzdem bin ich jetzt in einer beschissenen Scheiß-Situation und kann nix dagegen machen.

So eine herunter gekommene Sackratte, fast hätte ich abgedrückt.

Ich zittere, die Laserkanone kann jeden Moment losgehen, private war against criminality oder wie war das – einer gegen alle. Nur ein unkontrolliertes Zeigefinger-Zucken reicht aus und die Strahlung würde diesem lebensmüden Chaot das Gesicht zerfetzen wie ’ner nordsibirischen Wassermelone.

„Du Wichser! Morgen ist das alles weg!“ brülle ich dem Typen mitten durch seine Drogen vernebelten Wahnvorstellungen, mache eine ausholende Handbewegung, wobei der Penner zusammen zuckt und drehe mich wutschnaubend zu meinem Glider.

 

Buckingham Palace, so ein Idiot. Talent hat er ja wenigstens, sonst hätt‘ ich ihn schon längst abgeknallt.

Verdammt. Wenn er sich wenigstens ’ne Lizenz dafür leisten könnte, gäb’s überhaupt keine Probleme und vielleicht würde sogar ’n verdammter Künstler aus ihm, mit ’nem richtigen Markennamen auf seinem Identity- Chip.

Aber so … Eigentlich hätt‘ ich ihn abknallen müssen.

 


[1] TKP = Tausender-Kontakt-Preis (Werbedeutsch)

 



Bücher von Sven Klöpping:


Menschgrenzen

Sven Klöpping

Sven Klöpping wurde 1979 in Herdecke/ Westfalen geboren, absolvierte eine Ausbildung zum Juniortexter in Münster, Koblenz und Frankfurt, war gern in Dortmund und lebt heute im Schwarzwald. Er veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten und ist Herausgeber von www.lyrikonline.eu. Aktuelles Buch: Menschgrenzen

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