TV-Studioprobe
„Dargestellt wird die buddhistische Guanyin von einer jungen Dame, Freundin des Regisseurdarstellers. Katia Kasten-Katzberger hat in ihrer stoischen Art durchgedrückt, die Figur zu spielen.“
Da Rainer Pfahle, Darsteller gleichzeitig wie Regisseur, den Zuschauerraum betritt, beginnt auf der Studiobühne der aktuellen Motto-Show die Probe für das Bild Nackte Wahrheit. Ein nicht mehr junger, reicher Mensch, den er spielt, hat in Tibet eine Götterstatue erstanden, eine Guanyin, eine weibliche Gottheit mit der Eigenschaft, sich zu bewegen, sooft jemand lügt. Was der Besitzer allein wahrzunehmen vermag. Je dicker die Lüge, desto heftiger die Bewegung. Der reiche Mensch gibt eine Party, reichlich viel Leute sind da, gesprochen wird, was überall auf solchen Partys angesagt ist. Das Götzenbild zuckt, rührt sich, immer geschwinder, immer ungestümer, wedelt, hüpft, tanzt. Dargestellt wird die buddhistische Guanyin von einer jungen Dame, Freundin des Regisseurdarstellers. Katia Kasten-Katzberger hat in ihrer stoischen Art durchgedrückt, die Figur zu spielen. Sie ist nicht ohne eine gewisse krampfige Anmut, dazu langgliedrig, etwas grotesk. Rainer Pfahle ist wenig zufrieden, mäkelt herum. Die Regieassistentin bleibt gelassen. Der Kameramann sieht, mit wie viel Mühe. Man weiß, warum Rainer Pfahle sich erlaubt, ihr gegenüber rotzig aufzutreten. Weil seltsamerweise sie als einzige durch das Aufsehen über die Veröffentlichungen ernstlich ramponiert scheint. Wohl waren auch ihre beiden Viten, jede mit eigenem Ghostwriter notiert, zunächst wegen Persönlichkeitsverletzung Dritter gescheitert, später mit Auslassungen erlaubt und auch Katia Kasten-Katzberger im unbehelligten Genuss eines Ranges auf der Bestsellerliste, wenn auch unter ferner liefen, doch während von allen anderen der Medienschmutz der Widersacher wirkungslos abgefallen ist, bleibt er an ihr hängen. Ohne fasslichen Grund. Sie allein bleibt bemakelt. Die Society, ihr Kreis, die Szene, Leute, denen sie Gefälligkeiten mancher Art erwiesen, zeigen ihr die kalte Schulter. Keine kleine Brise hat sie mehr in den Segeln, alle spüren das. Natürlich spürt es auch Rainer Pfahle. Zeigt es. Katia ist diskutabel als buddhistische Guanyin. Ohne das alberne Gewäsch in den Medien, in der Gesellschaft würde auch Rainer Pfahle sie diskutabel finden. Bewusst ist ihr das, bewusst auch, dass nun, wenn er sie indiskutabel findet, dies nicht nur böser Wille ist, vielmehr überzeugung. Sie hat manches erlebt, kennt die Welt, an der sie eigentlich nichts auszusetzen hat, ist auch damit einverstanden, dass an den Erfolglosen strengeres Maß angelegt wird. Rainer Pfahle schikaniert. Seine helle Stimme kommt grell wie die eines Riesenbabys aus dem Lautsprecher. Katia Kasten-Katzberger bewegt sich heftig, probiert die Szene stoisch immer von neuem, bis Rainer Pfahle das Regiepult verlässt, die Bühne erklimmt, mit grimmiger Miene, gefährlich leise, anmerkt, man werde das Bild wohl streichen müssen. Katia Kasten-Katzberger macht Anstalten aufzubegehren, der Regisseur, großartig auf der Bühne, im vielfältigen Scheinwerferlicht, kehrt das zerknitterte Gesicht dem Dunkel zu, im Begriff zu schreien, sich bezwingend, äußert, man werde sich darüber später schlüssig. Gibt der Musik ein Zeichen. Melodien zur Zither erklingen. Rainer Pfahle vertauscht seine Sandaletten umständlich gegen feste, genagelte Schuhe. Beginnt zu tanzen. Tanzt einen landesüblichen Stampftanz, schuhplattelt. Hüpft, schlägt sich die Oberschenkel, das Gesäß, stampft. Schlägt sich die Schuhsohlen. Greift sich die junge Frau. Umkreist sie, hüpfend, stampfend, balzend, während sie den Arm überm Kopf hochhebt. In linkisch-geschmeidiger Grazie. Seine wasserblauen, pfiffigen tiefliegenden Augen verstrahlen ungeheure Lust, sein Blondhaar fliegt, grotesk umflattern ihn die langen kunstledernen Rockschöße, derweil er sich Schenkel, Gesäß und Sohlen schlägt. Er tanzt mit roher Hingabe, schamlos. Alle hören auf zu reden, sehen dem Regisseur zu, wie er besessen, drollig, ungeheuer eindeutig herumstampft. Seiner Tänzerin den Rücken kehrt. Immer tanzend, während sie zu den anderen Mitspielern geht, nähert er sich der burschikosen Regieassistentin, verneigt sich. Das Mädchen lächelt, ein wenig geniert, zaudert. Dann legt es ihre Schreibsachen nieder, macht die leicht zu erfassenden Drehungen, merkwürdig umtanzt von dem schlaksigen Regisseurdarsteller. Er scheint unermüdlich. Immer neue Variationen fallen ihm ein. Man schaut ihm, blasiert, krampfartig zuckend mit verschränkten Armen Katia Kasten-Katzberger, grinsend, Hände in die Hüften gestemmt, sich wiegend die anderen, zu.