Kazalla muss weg

Office TristesseWovon träumen Sie, Singhammer? Was wollen Sie aus ihrem Leben machen? Geben Sie Gas, Mann! Eines Tages sitzen Sie in ihrem Büro im dritten Stock, sehen sich um und müssen sich eingestehen, dass Sie es nicht erzwungen haben. Wollen Sie das? Dann ist hier ihre Endstation. Das Glück ist ein Hallodri, ein Hans-Guck-in-die-Luft. Sie können warten, bis es hier vorbei schlendert. Und dann können Sie freundlich gucken und es mit verhaltener Stimme zum Tee einladen. Vielleicht beachtet es Sie ja, Singhammer. Vielleicht, und ich sage bewusst vielleicht. Eine schöne Krawatte haben Sie da, die könnte dem Glück gefallen. Aber können Sie sich sicher sein? Oder wollen Sie nicht doch einen Sack bereithalten und das Glück ganz explizit einladen? Wenn es dann heranschlurft, sein Liedchen trällert, davon singt, wie es heute mit dieser und morgen mit jener in die Kiste springt, dann sind Sie vorbereitet, Singhammer. Dann stürzen Sie sich darauf, braten ihm eins über mit dem schicken Laufpokal, den sie da haben. Verstehen Sie? So wird es gemacht. Ich glaube, Sie haben noch immer nicht verstanden, woher der Wind weht. Wollen Sie es schaffen oder nicht?

Warum von Belial einen Narren an ihm gefressen hat, weiß Singhammer nicht. Der alte Herr hat ihm vom ersten Tag an imponiert mit seinem maßgeschneiderten dreiteiligen Anzug und den rahmengenähten Schuhen aus englischer Manufaktur. Er gehört zu den alten Hasen in der Firma, auch wenn Singhammer noch immer nicht herausgebracht hat, was genau seine Funktion ist. Die anderen Azubis rechnen ihn dem Aufsichtsrat zu, aber Singhammer bezweifelt das.

Office TristesseDafür ist von Belials Büro zu klein, er sitzt geradezu mitten unter ihnen, im dritten Stock. Erst ab dem zehnten Stock hat man wirklich etwas zu sagen. Ab da werden die Männer immer kleiner, die Anzüge teurer, die Sekretärinnen schöner und die Stimmung frostiger. Dort will Singhammer hin, besonders seit er die schöne, schlanke und ehrgeizige Frau Kitt kennengelernt hat, die Helferin des Abteilungsleiters Sicherheiten. Mit ihrer pilates-gestählten Körperspannung, ihren grauen Kostümchen, den hohen Absätzen und den dunklen Seidenstrümpfen regt sie die Phantasie des devot veranlagten Singhammer stark an. Sie legt Wert auf die zeitgemäße Berufsbezeichnung Assistentin. Dabei ist allgemein bekannt, dass die Chefs unter sich nach wie vor den alten Terminus verwendeten, der Macht und Status ausdrückt wie ein großes Einzelbüro, ein Siebener-BMW oder die unbegrenzte Zeichnungsbefugnis. Ganz oben sind die Vorzimmerdamen so mächtig, dass sie sich selbst in einer Mischung aus Trotz und Nostalgie Sekretärin nennen.

Singhammer nickt von Belial sinnend zu. In seinem Kopf klingen romantische Ideen nach, die die planlose Lektüre schwärmerischer Entwicklungsromane in seinen noch unversehrten Kopf gepflanzt hatte – Bücher, die nichts mit Karriere zu tun hatten, mit dem Geld, dem Erfolg.

Office TristesseBald nach seinem Einstieg hier hatte man ihm Wertvolleres an die Hand gegeben. Amerikanische Management-Gurus zeigten da die Notwendigkeit des Verkaufens auf, an der letztlich jede Idee scheitert, wenn nicht die zehn goldenen Vertriebsregeln nach Collins, Miller, Meyer oder Mayhem befolgt werden. Das hat ihm bald eingeleuchtet und von Belial hatte ihn bestärkt, ihn immer weiter mit effizienzsteigernden literarischen Mitteln versorgt. Und mit bestimmten Telefonnummern, und Viagra. Auch heute stimmt Singhammer den überzeugenden Argumenten von Belials zu.

Wohlan denn, ich lasse Ihnen diesen Umschlag da. Werfen Sie einen Blick hinein, und dann handeln Sie verantwortungsbewusst. Von Belial stützt sich auf seinen Stock und lächelt verschmitzt.

Singhammer zieht die Augenbrauen hoch.

Nichts, nichts, mein Lieber. Ein alter Mann wie ich spielt seine Spielchen. Ich will nur helfen, mein Lieber, nur helfen. Guten Tag.

Wünscht er und geht hinaus.

Singhammer lehnt sich zurück in dem guten Stuhl, den ihm sein Rückenleiden eingebracht hat. Das ist das Gute an den alten, gewachsenen Traditionskonzernen. Solchen Luxus finanzieren sie noch. Er nimmt einen unangenehmen Geruch war, reißt den Umschlag auf, sortiert und sichtet und erkennt endlich, dass er den Test in Händen hält, mit dem in Kürze sein Management-Trainee-Programm abschließen wird. Nun hat er alle Zeit der Welt, sich vorzubereiten. Das Glück liegt gefesselt auf seinem Schreibtisch, er muss es nur nach Hause tragen und die Hose öffnen. Obwohl Singhammer nicht raucht, denkt er spontan an eine Zigarre, und an Frau Kitt in Lederstiefeln.

 

Ein Jahr später ist es soweit. Nach einem bespiel- und makellosen Ergebnis beim Abschlusstest des Management-Trainee-Programmes der Universal Lebensversicherung stand Herr Singhammer bald im Fahrstuhl und dann zum ersten Mal im Büro des stellvertretenden Abteilungsleiters Sicherheiten, welches bald danach das Seine wurde.Office Tristesse

Heute ist der große Tag gekommen.

Er ist kein Stellvertreter mehr.

Die nächste Stufe.

Er hat viel gelernt in der Zwischenzeit. Seine Mannschaft hat alles zu bieten. Findige junge Leute gibt es da, die noch die eisige Kälte der Zeitarbeit kennen und für die Übernahme in einen unbefristeten Festvertrag ewig dankbar sein werden. Alteingesessene Profis, die schon lange vor der Ankunft von Belials bei der Universal waren und ein Teil der Firma sind wie die Außenmauer des Gebäudes oder die Drahtseile, die den Fahrstuhlkorb halten. Frustrierte Schwarzseher, die sich auch sinnvollen Veränderungen immer entgegengestemmt haben und plötzlich beweglich wurden, als der Einstieg eines Finanzinvestors allerlei aktionistischen Einsparungsunsinn mit sich brachte.

Sie alle werden ab heute nach Singhammers Pfeife tanzen, denn jetzt ist er Abteilungsleiter Sicherheiten.

Leider nimmt sein Vorgänger Frau Kitt mit in den achten Stock, aber die Personalabteilung hat ihm bereits vielversprechendes, frisches Material vorgestellt. Er ist sich noch nicht sicher, wie er das mit der Erziehung handhaben will, wer wen beherrschen soll. Er wird seiner neuen Assistentin vielleicht die eine oder andere vieldeutige Spitze erlauben, wenn die Bürotür geschlossen ist.

Office TristesseEines ist klar: Die Abteilung muss auf sein Kommando hören. Er wird ein gerechter, aber harter Herrscher sein und sich damit für noch weit größere Aufgaben empfehlen. Von Belials Coaching geht gut voran, Singhammer ist ein gelehriger Schüler.

Holen Sie die Menschen ab, wenn sie angekommen sind. Moderieren Sie den Erfolg, die Veränderung. Sie sind ein Team, sie ziehen an einem Strang, sitzen in einem Boot. Sie schwefeln sie in Trance, verstehen Sie?

Schwafeln, hatte Singhammer verstanden. Das konnte er.

Wir werden es gemeinsam schaffen, Sie und ich. Ich weiß natürlich, dass ich in große Fußstapfen trete, Sie waren sehr zufrieden mit meinem Vorgänger. Aber auch ich werde dafür sorgen, dass Ihre Arbeitsplätze sicher bleiben. Machen Sie sich keine Gedanken bei allem, was man so liest. Gemeinsam haben wir eine gute Zukunft vor uns. Gemeinsam bringen wir die Universal zu alter Größe. Wir sichern den Erfolg, wir sind nicht umsonst die Abteilung Sicherheiten.

Höfliches Kichern.

Vertrauen Sie mir, denn Vertrauen ist Freundschaft ist Verlässlichkeit ist Erfolg ist Teamgeist ist Leistung ist Vertrauen ist schön. Wir schaffen es, gemeinsam zum Erfolg.

 

Wie Altöl, das zu unguten, verantwortungslosen Zeiten in hoffnungsvollen Baugrund gesickert ist, hat Singhammer Frau Kazalla geerbt. Office TristesseVon Belial ist vom ersten Tag an ganz klar in seiner Empfehlung. Er fasst sie in eine griffige Formel, die er Singhammer einhämmert, wann immer der zu ihm herunterkommt, um sich zu den Herausforderungen der neuen Aufgabe beraten zu lassen: Kazalla muss weg!

Singhammer hat sich mit solider Arbeit bald einen guten Ruf erworben. Nur Kazalla stänkert, wo sie kann. Sie hasst Veränderungen aller Art.

 

Das ist Ihre erste Bewährungsprobe, Singhammer. Schmeißen Sie sie raus! Dann weiß jeder, wer das Sagen hat.

Bald darauf passt Singhammer sie nach ihrer Spätschicht ab und versetzt ihr einen Arschtritt. Dass es ihm Spaß macht, sie schluchzen zu sehen, überrascht und erschreckt ihn gleichermaßen. Aber er ist der Chef. Sie alle haben zu gehorchen und seine Anweisungen auszuführen, das wird er ihnen künftig noch deutlicher klar machen. Kazalla hat er sich nie so genau angesehen. Sie kleidet sich geschmackvoll und ist gepflegt für ihr Alter, auch wenn jetzt ihr Make-Up verläuft. Selbst schuld, und jetzt die Schlüssel her!

Als sie raus ist, läuft Singhammer noch eine Weile im leeren Großraumbüro auf und ab. Er humpelt. Ein leichtes Taubheitsgefühl im rechten Oberschenkel plagt ihn seit Wochen. Er ist der Letzte hier, er ist der Leistungsträger, der den Puff am Laufen hält. Sie werden schon sehen. Ich werde aufsteigen, immer weiter. Er spricht in letzter Zeit oft mit sich selbst, da seine Freunde mittlerweile Familien und keine Zeit mehr für ihn haben.market_tristesse_140x580

 

Drei Monate später betritt Singhammer in seinem trendigen Stadtbezirk, in dem die Mieten steigen, weil die Substanz an die Bedürfnisse junger Leistungsträger angepasst wird, einen Supermarkt. Es riecht eigentümlich, findet er und erschrickt, als er im Gang mit den Milchprodukten seine ehemalige Mitarbeiterin erblickt. Kazalla steht reglos vor dem Regal und starrt vor sich hin. Sie stützt sich auf einen Stock und versucht, einen Arm zu heben, um eine Milchtüte zu greifen. Etwas fällt ihr aus dem Ärmel, es sieht aus wie Kokosflocken. Sie scheint weder ihn noch sonst etwas zu bemerken. Er geht näher. Der unangenehm-süßliche Geruch wird stärker. Die Kokosflocken bewegen sich. Singhammer flieht.

Einige Tage später hat er sich von dem Schock erholt und kauft wieder ein. Die Überreste von Kazalla liegen in der Ecke. Aus der ungewaschenen Kleidung ragen Knochen, der Verwesungsprozess ist weit fortgeschritten. Singhammer fragt sich, wie das sein kann, warum niemand eingreift und saubermacht. Schließlich handelt es sich um einen Bio-Laden, da liegt der Gedanke an Mitgefühl und Verantwortung nicht allzu fern.

Ach Singhammer, haben Sie nichts gelernt? Nehmen Sie Platz, bitte. Was soll ich Ihnen sagen. Zigarre?

Singhammer nickt, pafft genüsslich und lauscht den Ausführungen seines Mentors. Er hat viele Fragen, aber von Belial ist im Rauch kaum noch zu erkennen.

Das Taubheitsgefühl im Oberschenkel erweist sich als äußerst hartnäckig.

 

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Martin Wessely

* 1971, studierte nach dem Abitur und war in den letzten Jahren in verschiedenen Positionen im internationalen Dienstleistungsmarketing tätig. Über den beruflichen Umgang mit Sprache hat er seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckt. Er lebt und arbeitet in Köln. Aktuelles Buch: 'bipolar. Die Verteidigung der Mitte' (Ch. Schroer, 2012).

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