Spinne

An der Wand, die im rechten Winkel zur Fensterfront mein Wohnzimmer von der Nachbarwohnung trennt, hat es sich eine Winkelspinne bequem gemacht. Sie scheint eine Menge Zeit zu haben, denn anstatt ein Netz zu spinnen und auf Beute zu lauern, labert sie mir ein Kotelett an die Backe. Pantheismus liegt ihr am Herzen. Oder doch nicht allzu sehr, und sie labert einfach nur gerne.

Ich frage mich, ob sie ihre Weisheiten ernsthaft studiert oder bei Wikipedia konsumiert hat. Wie dem auch sei, nach einer Weile geht mir ihr Vortrag auf den Sack. Ich fordere sie auf, mal schleunigst eine andere Platte aufzulegen oder das Maul zu halten. Sie schmollt ein wenig, bevor sie mich ausgiebig mit Heisenbergs Unschärferelation langweilt. Was eine ordinäre Winkelspinne von Physik versteht, frage ich. Was ich von Spinnen verstehe, kontert sie. „Nichts.“ „Also“, meint Spinne, „dann verzapf kein dummes Zeug und höre weiter zu!“

Was bildet sich das Miststück ein? Will mich diese achtbeinige Schwätzbacke provozieren? Sie erinnert mich fatal an meine Schwester, die lediglich um der Diskussion willen jedem religiösen Fanatiker, der an der Haustür klingelt, Stunden ihres Lebens schenkt. Was mich nicht juckt, den lobotomierte Traktatverteiler und meine Schwester verdienen sich gegenseitig redlich. Ich neige eher zur spröden Sachlichkeit. Wobei ich ein ausgeprägtes Phlegma nicht verschweigen will. Meine Lahmarschigkeit schützt mich vor Herzinfarkt, und dieses vorlaute Spinnentier, durch einen zusammengerollten Remscheider Generalanzeiger an der Wand platt gehauen zu werden.

Woher ich weiß, dass sie eine Winkelspinne ist, fragt sie unvermittelt zwischen zwei Thesen Luthers, die sie inbrünstig in portugiesischer Sprache deklamiert. „Habe ich beim Jauch gesehen. War die Achttausend-Euro-Frage.“ Sie schätzt Günther Jauch nicht übermäßig. Ein Schwätzer, der dämliche Kandidaten mit noch dämlicheren Fragen verarscht. Ich frage mich, welches Niveau mir dieser Spinnengroßkotz zugesteht. Mein Bildungshunger meldet erst ab 22 Uhr konkrete Ansprüche ans TV-Programm. Besonders die „Drawn Together“-Episode, in der Spanky Ham, das anarchistische Schwein mit ewig erigiertem Ringelschwanz, zum Islam konvertiert, goutiere ich mit genießerischem Zungenschnalzen.

Winkelspinne lässt nicht locker. Mit sich überschlagender Stimme schießt sie eine Hasstirade nach der anderen gegen Jauch und die ihrer Meinung nach McDonaldisierte Halbbildungswelt. Sie schimpft über mc news und mc Bildung als fünfminütige Beilage zum stupiden Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, über Kultur to go in Form eines Vierzeilers auf einer Brötchentüte, über die hypothetische Weltformel, die mittels X-Box und farbigem Touchpad bereits für Sechsjährige Einzug ins Kinderzimmer hält.

Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll. Irgendwie ist mit der Vortrag zu dieser bereits vorgerückten Stunde allzu akademisch angehaucht. Was kratzt mich ein Vierzeiler auf der Brötchentüte, wenn ich Brötchen lediglich als Tage alte zähe Beilage zur Currywurst konsumiere. So gesehen geht mir das Geschwätz der Spinne am Arsch vorbei. Auch halte ich jede ihr dargebrachte Aufmerksamkeit für verzichtbar.

Ich stürze den Inhalt einer Literflasche Schumacher Alt in meinen trockenen Schlund. Soll dieses Tier meinetwegen den Rest ihres Lebens an der Wand kleben und sich aus ihrer Bildung eine goldene Krone basteln. Spätestens, wenn sie nichts zu beißen kriegt, weil sie das Spinnen versäumt hat, wird sie heftig auf den harten Boden der Tatsachen aufschlagen. Mancher Student der Geisteswissenschaften kann hiervon ein Liedchen singen.

Ob ich jetzt etwa schlafen will, empört sich Frau Spinne. Ich bin von ihrer Weiblichkeit überzeugt. Ihre Redseligkeit lässt keinen anderen Schluss zu. „Natürlich schlafe ich jetzt, gnä‘ Frau!“ Sie rät mir, wie ein Delphin wechselseitig mit nur einer Gehirnhälfte zu ruhen. Während die linke Seite schlummert, sammelt und verarbeitet die rechte eingehende Informationen. Natürlich auch umgekehrt. Was eine grandiose Strategie, die perfekte Lebensversicherung in einer von Raubfischen wimmelnden Welt. „Nix grandios“, wende ich ein. „Im Großraumbüro nutzt mir das gar nichts.“

Spinne kapiert das nicht. Ungerührt spuckt sie Wort und Wort in meine auf Sparflamme geschalteten Ohren. So langsam heischen uralte humane Instinkte nach Befriedigung. Dieses nervtötende intellektuelle Insekt verdient die ewige Archivierung zwischen zwei Seiten meiner Ludwig Ganghofer-Sammlung.

Sie scheint meine destruktiven Regungen zu spüren und hangelt sich zwei Zentimeter weiter Richtung Zimmerdecke. Dort doziert sie über Heideggers mir unverständliche Thesen. Über ein Rahmengestell, in dem wir fixiert sind. Ich rülpse und drehe mich auf meine Schlafseite.

Die Frau bleibt hartnäckig. Will mich partout in eine Diskussion verwickeln. Ich habe die Wahl zwischen katholischer Ethik und unzureichendem Klimaschutz. Ich bin weder katholisch noch kratzt mich der Klimawandel. Wenn es regnet, regnet es. Meinetwegen etwas wärmer als in den letzten Jahren. „Nach mir die Sintflut“, murmele ich träge. Winkelspinne meint bemerken zu müssen, dass diese unweigerlich ansteht, sollte es mit dem Weltklima wie bisher weitergehen.

Es reicht! Ich fordere sie auf, diese Räumlichkeiten umgehend zu verlassen, wobei ich meinen Worten mit einem Küchenbesen Nachdruck verleihe. Frau Spinne erkennt nicht den Ernst ihrer Lage. Sie bezeichnet sich und ihre Rasse als die Kraft ihres Verstandes herausragende Spezies des Universums. Ich hingegen sei ein nichtiger Wurm, der nicht über die Gabe der absoluten Reflexion verfüge.

Ob sie über einen Besen verfügt, erwidere ich süffisant. „Nein.“ „Nicht einmal über Hände, diesen Besen zu benutzen?“ Abermals verneint die Laberbacke. Ich presse das vorlaut arrogante Tier unsanft gegen die Zimmerdecke. Winkelspinne protestiert lautstark. Sie versucht, eine Debatte über die Verwerflichkeit meines Tuns vom Zaun zu brechen. Darauf gehe ich nicht ein und öffne eines der Wohnzimmerfenster, um die Nervensäge mit einem heftigen Schwung nach draußen zu befördern.

Endlich herrscht Ruhe. Vielleicht hat sich einer der verfressenen Stare an ihr gütlich getan. Das passt, denke ich. Stare stehen Spinnen in Geistesgröße in nichts nach. Diskussionen mit diesen Vögeln machen für grobmaschig gestrickte Naturen wie mich keinen Sinn. Was mir jedoch vollkommen wurscht ist, denn ich besitze Hände. Und einen Küchenbesen.

Ich bin die Krone der Schöpfung.

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