Aspergillus Flavus
Am Montag kam sie gegen 10 nach Hause, öffnete den Kühlschrank und schloss ihn gleich wieder. Nix appetitlich.
Am Dienstag kam sie gegen 9 nach Hause, öffnete den Kühlschrank, schloss ihn wieder. Nix appetitlich. Aber die Cola.
Am Mittwoch kam sie gegen 8 nach Hause. Sie hatte außer Haus gegessen. Frühstück holte sie beim Bäcker, Mittags nutzte sie die Kantine. Abends aß sie oft außer Haus, in Gesellschaft oder gar nicht.
An einem Donnerstag kam sie gegen 7 nach Hause, öffnete den Kühlschrank, ekelte sich und schloss ihn wieder.
An einem Freitag hatte sich Aspergillus Flavus über den ganzen Käse ausgebreitet und begann zu sprechen.
Bald sprach er ganze Sätze, fragte, wie es ihr geht, ob es was Neues gibt und ob es möglich sei, das Licht dauerhaft anzulassen. Erst erschrak sie, dann wollte sie ihn wegmachen. Doch Aspergillus Flavus gab sich solche Mühe freundlich zu sein und putzte den Kühlschrank mit seinem Pelz.
Er entwickelte sich prächtig, nahm bald ein ganzes Fach ein und kletterte die Rückwand hoch. Dann war er verschwunden.
Über drei Monate sah und hörte sie nichts von ihm. Das Fenster war geschlossen, er musste sich unter der Küchentür durch und durch den Briefschlitz gezwängt haben. Sie vernagelte den Briefschlitz mit einem Stullenbrett. An einem Montag kam sie gegen 10 nach Hause.
Er hing an der Küchendecke und schaute sie an. Sie bemerkte ihn, als er einen Fühler nach ihr ausstreckte.
Er sei wiedergekommen. Er hat sein Glück in der Welt suchen wollen. Doch die Welt ist schlecht zu ihm gewesen. Niemand mochte ihn. Alle haben sich abgewandt. Am schlimmsten waren die Kinder. Sie haben geschrieen, laut geschrieen nachdem ihnen wer gesagt hat, was er ist. Davor hätten sie ihn fast gestreichelt. Frauen wie sie haben auch geschrieen. Er weiß gar nicht warum. Und wussten sie es denn? Als Gipfel der Peinlichkeit hat er Ärger mit der Polizei bekommen. Er ein Verbrecher. Er ist angeschossen. Aber es wächst wieder zu.
Sie sagte nichts. Sie bewegte sich nicht. Sie spürte sein Misstrauen.
Möglich auch, er käme auf die Idee, sie zu umarmen.
Er könnte unter der Tapete leben. Sie würde gar nichts mitkriegen. Er will doch nur leben und … vielleicht ein bisschen Liebe.
Es erschien gering, was er verlangte. Trotzdem, es ging nicht. Er könnte immer Staub wischen. Ausgeschlossen. Wie er überhaupt hereingekommen ist. Durch die Wand.
Durch die Wand. Sie umschloss das Eisen in ihrer Hosentasche. Glatt und kompakt. Nicht bewegen. Er war noch immer über ihr. Und setzte sich in Bewegung. Langsam, langsam kroch er von der Decke die Wand hinunter, und Teile von ihm verschwanden schon hinter dem Kühlschrank. Sie hielt es für eine günstige Gelegenheit. Und: sie wollte Aspergillus Flavus brennen sehen. Das Feuerzeug kam ans Licht, klappte auf und zündete. Im Nu loderte er hell und zerfledderte zu feiner Asche, die hinter den Kühlschrank fiel.
Die auf die Tapete übergesprungenen Flammen waren leicht zu löschen. Sie musste nur einige Tassen Wasser an die Wand klatschen lassen. Wenn sie erst einen Topf nähme statt einer Tasse, würde das Feuer leicht zu löschen sein. Töpfe hatten mehr Platsch. Zwar ließen sich die Spritzer aus der Tasse eindeutig höher schleudern als die Güsse aus dem Topf, nämlich dorthin, wo die Flammen waren, aber sie konnte ja auf die Spüle klettern.
Dort hatte sie keinen festen Stand. Es gelang ihr nicht, das Wasser so viel höher zu wuchten, nicht bis an die Decke. Hohe Räume hatten eben auch Nachteile.
Inzwischen war die Rauchentwicklung so stark, dass sie aus dem Zimmer ging und die Feuerwehr anrief. Als die kam, fünfzehn Minuten später, stand sie schon unten und besah mit Schaulustigen das Lichterspiel. Sie konnte von Glück sprechen. Die Hälfte ihrer Wohnung blieb verschont, und die Versicherung zahlte sofort. Der Umzug kam ihr gelegen. Unschönes möchte man gern vergessen.