Und ewig stinkt der Schritt
Zufrieden sind nur die Dummen
Die andern sind durstig
– Irmgard Keun –
Regen strähnt, und ewig stinkt der Schritt, Regen strähnt und stöhnt, von links oben nach rechts unten, es tropft aus einem aufgewühlten Wolkendickicht heraus, und die Reifen unzähliger Autos rauschen über nasses Pflaster hinweg, und die Bäume, kahl wie ein Glatzkopf, wiegen sich zur Melodie eines rauen Winterwindes, und ewig stinkt der Schritt. Ein Tropfenspektakel, dazu das unablässige Reifenrauschen und ewig stinkt der Schritt. Bei geschlossenen Augen könnte man sich am Meer meinen, das Rauschen der Reifen mit der Brandung verwechseln, man könnte die graue Wirklichkeit vor dem Fenster fliehen und sich erinnern: Es war Strand, es war heiß, es war damals … eine Reise bis dorthinaus … und ewig stinkt der Schritt.
Das Ergebnis eines schlechten, schiefen Traumes: ermüdetes Erwachen, ein Schlaf, von dem man sich erholen muss. Und ewig stinkt der Schritt. Und das Leben macht Pause, das Leben macht dumm, denn in Deutschland lebt der Geist von Auschwitz wieder auf. Oder ist er niemals weg gewesen? All das denkt ein Winkelskribent, fragt er sich, obwohl ihn das nicht anficht: Er bezieht seine Ruhe von der Wohlfahrt und vom Haschisch. Er zieht sich ein Faltenlineal durchs Gesicht, so den Bogen seines Lebens spannend. Und vergisst: das pausierende, verdummende Leben, den Geist von Auschwitz über Deutschland und den Deutschen, den ewig stinkenden Schritt.
Arme, die nicht arbeiten, kommen in Deutschland zuerst unter die Fuchtel eines staatlich bestellten Vormunds, eines sogenannten Sachbearbeiters, dann ins Arbeitslager, ins Irrenhaus, in die Müllverbrennungsanlage, und ihre Asche wird in öffentlichen Parks und Staatsforsten verstreut. In Deutschland nennt man das ein Eselsbegräbnis, und ewig stinkt der Schritt.
Deutschlands Deutsche sind stolz: auf ihre Fußballnationalmannschaft, auf Auschwitz, auf ihr Arbeitszwangsgesetz. Letzteres verspricht Ordnung, und Reichtum, viel für wenige und wenig für viele, für den Rest. Wer sich mit wenig nicht zufrieden geben kann oder will, denkt an seine Fußballnationalmannschaft, an Auschwitz, ans Arbeitszwangsgesetz. Und ist dann stolz und fühlt sich wohl, geborgen, aufgehoben wie bei Muttern, und ewig stinkt der Schritt.
Man sagt: Ich habe keine Chance, aber ich nutze sie. Man sagt das so leicht, so leichtsinnig, man sagt es, weil man sonst nichts zu sagen hat, man posaunt es am Weltkerzentag heraus, man wählt diesen Satz zu seinem persönlichen Leidmotiv und vergisst sich dann, im Alkohol, im Dunst der Dummheit, im Terminvorschlaf und träumt: Der Führer furzte viel, und ewig stinkt der Schritt …
Die Menschheit gleicht einem jugendlichen Intensivtäter: in fortdauerndem Delirium, mit Vollgas im gestohlenen Wagen, über Leichen hinweg, ohne Licht in dichtem Gegenverkehr. Und ewig stinkt der Schritt …
Was ist Schmumacherei? Wenn man sich mit Fernsehen fit zu halten und mit Saufen über Wasser zu halten vermeint … und wenn man sagt, man befinde sich auf der Durchreise, wenn man mit der Straßenbahn unterwegs ist, tribadi, tribada, tribado. Das ist Schmumacherei, und ewig stinkt der Schritt …