Eine Träne für die Unbekannte
Mit der Geburt hatte der Niedergang für ihn bereits begonnen. Rastloses Fallen war sein Schicksal. Sein Leben war mit der Entstehung bereits verwirkt. Wie gern hätte er gelebt. Wie gern hätte er etwas mehr vom Leben gesehen. Wie gern. Auf seinem Weg hinab in die Wirren des Todes entdeckte er durch die feucht glänzende Schicht seiner Augen eine junge Frau. Und für einen Moment war aller Fatalismus vergessen. Die Neugier zwang ihn zum Anhalten. Selbst seine Brüder um ihn herum, die ebenso dem Niedergang geweiht waren, hielten für diesen Augenblick inne. Staunend war alle Aufmerksamkeit auf dieses Mädchen gerichtet, das vom Wind an den Haaren weggezerrt wurde. Trotz allem Widerstand bekamen ihre zitternden Finger nichts als Luft zu greifen. Und der Kuss den ihre Lippen zu verschenken hatten, fand keinen Empfänger. Er ging ins Leere und verhallte – ungespürt. Und der Wind zog ohne Unterlass. Was für ein Kuss. Was für eine unbeschreibliche Traurigkeit. Der kleine Regentropfen seufzte auf und setzte gemeinsam mit seinen Brüdern den todbringenden Fall fort, für den sie einst geboren wurden. Und kurz bevor er aufschlug und sein Leben verwirkt war, vergoss der Sterbende eine Träne für die Unbekannte.